Dahlhaus, Bernd

Was man so hört…

Tabus und No-Gos im Instrumentalpädagogikberuf – Leserreaktionen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2015 , musikschule )) DIREKT, Seite 10

„Was sich nicht gehört“: Unter dieser Überschrift habe ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, in der April-Ausgabe nach Ihrer Einstellung zu Tabus und No-Gos im Inst­rumentalpädagogikberuf befragt.1 Meine Absicht war es, zu den Phänomenen unseres Berufs, über die häufig nur ungern oder gar nicht gesprochen wird, einen leichteren Zugang zu finden, sodass darüber ein offener und ehrlicher Austausch in unserer Berufsgemeinschaft möglich wird.

Ich habe dafür die Form eines Preisausschreibens gewählt: Konkret galt es, zu 14 Fragen zu verschiedenen Tabus und No-Gos aus jeweils drei vorgegebenen Antwortmöglichkeiten diejenigen auszuwählen, die nach Lesermeinung am besten beschreiben, wie man sich als „guter Instrumentalpädagoge“ verhält.
Bei den Formulierungen war eine Gratwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und ironischer Provokation durchaus gewollt und auch gar nicht zu vermeiden: Nicht nur, dass man geteilter Meinung darüber sein kann, ob es sich überhaupt gehört, so ernste Themen wie Alkoholabhängigkeit, sexuelle Übergriffe oder Diebstahl von Musikschuleigentum in der Form eines simplifizierenden Preisausschreibens zu behandeln. Auch einige der Antwortmöglichkeiten konnten zunächst absurd erscheinen und zum Teil sogar ein Schmunzeln hervorrufen, etwa wenn ein Lehrer seinen inten­siven Knoblauchgeruch nach dem Mittagessen mit einem „nicht zu teuren Parfüm überdeckt“, ein Kollege eine kurzfristige Freistunde „sinnvoll“ für seine Urlaubs­recherche im Lehrercomputer nutzt oder eine Lehrerin einen vereinbarten kollegialen Hospitationstermin mit einer vorgetäuschten Krankheit kurzfristig absagt. Allerdings, und das macht gleichzeitig betroffen an diesen Beschreibungen, sind diese Verhaltensweisen in unserem Beruf nach meinen Erfahrungen und nach Erzählungen im Kollegenkreis tatsächlich anzutreffen.
Dass das Thema und die Form der Aufbereitung den Nerv der Leserinnen und Leser von musikschule )) DIREKT getroffen haben, zeigen die außergewöhnlich zahlreichen und interessanten Reaktionen. Autor und Redaktion freuen sich sehr darüber und bedanken sich bei allen Teilnehmern, die sich die Zeit zum Nachdenken genommen und von ihren Erfahrungen zum Thema wie auch darüber hinaus zu anderen Aspekten des Berufs berichtet haben. Nachfolgend eine kleine Auslese aus den Zuschriften.

Tabu-Kategorien und „dumme Antworten“

Die im Artikel beschriebenen Beispiele sind noch steigerungs­fähig. Dies ist die Quintessenz einer Zuschrift. Ungeschminkt beschreibt eine Leserin ihre Erfahrungen:
– „Gender“: verbale und körperliche Übergriffe von erwachsenen Schülern auf die Lehrerin;
– „Olfaktorisches“: erstaunlich, auf welch vielfältige Weise sich Lehrerin und Schüler gegenseitig im Geruchssinn belästigen können!;
– „Kollegiales“: wenn man unter dem Nicht-Engagement von Kollegen leidet, weil es untereinander unausgesprochen bleibt.
Eine andere Leserin berichtet von ihrer Erfahrung, dass sie „dumme Antworten bekommen“ habe, als sie eine Suchtkrankheit eines Kollegen im Team angesprochen hatte, dass sie diese Erfahrung aber nicht davon abhalten werde, auch in Zukunft solche Dinge anzusprechen.
In beiden Zuschriften wird deutlich, dass es persönliche Souveränität und Mut braucht, um Tabus und No-Gos auf eine für alle Beteiligten annehmbare Art anzugehen. Hilfreich dabei ist unter anderem, die eigene positive Absicht auch aus der Perspektive der anderen Beteiligten zu überprüfen sowie grundsätzlich die (versteckten) Bedürfnisse und Absichten aller Beteiligten von deren wahrnehmbarem Verhalten zu unterscheiden.

Online-Kommunikation als zweitbeste Lösung

Losgelöst vom Tabu- und No-Go-Thema spricht eine Leserin in ihrer Zuschrift das Problem vieler Honorarkräfte an Musikschulen an, aus Zeitmangel sowie auch aufgrund fehlender oder zu geringer finanzieller Wertschätzung kaum Konferenzen besuchen zu können oder zu wollen. Die Nichtteilnahme ist natürlich sowohl für den Einzelnen wie auch für das Musikschulteam mit vielen Nachteilen verbunden, wenn nämlich darunter das Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl, der gegenseitige Informationsstand und insgesamt die Identifikation mit der Schule und dem Arbeitsort leiden. Dabei handelt es sich natürlich auch um ein Tabuthema, wenn sich Honorarkräfte mit anderweitigen Terminverpflichtungen entschuldigen, statt ehrlich zu sagen, dass sie die Teilnahmevergütung als nicht angemessen betrachten.
Die Leserin fragt deshalb, ob es bereits Erfahrungen mit Internet-Konferenzen für Instrumentallehrkräfte gebe. Die Nachfrage von musikschule )) DIREKT bei den Musikschulverbänden ergab, dass vor allem private Musikschulen in Bezug auf die Kommunikation zwischen LehrerInnen und Leitung häufig sehr fortschrittlich in der Nutzung von Online-Technologien sind. So beispielsweise in einer privaten Musikschule in Bonn, in der in jedem Unterrichtsraum ein Computer vorhanden sei, mit dem der Lehrer oder auch mehrere Lehrer aus mehreren Räumen mit dem Musikschulleiter via Skype kommunizieren bzw. konferieren könnten.
Des Weiteren fragt die Leserin nach Angeboten zu Supervision im Internet, weil ihr diesbezügliches Interesse in ihrem Kollegium auf keine Resonanz gestoßen sei. Hier ergab die Recherche von musikschule )) DIREKT, dass es verschiedene Angebote zum Online-Coaching im Internet gibt. Hierbei ist allerdings abzuwägen, ob die größere Distanz bzw. Anonymität bei Online-Supervision, -Coaching und -Beratung im Einzelfall ein Vorteil sein kann oder eine leibhaftige Präsenz aller Beteiligten doch zumindest für Gruppensupervisionen und Lehrerkonferenzen vorzuziehen ist.
Eine dritte Anregung der Leserin betrifft das Thema „Interessenvertretungen von Honorarkräften an Musikschulen“. Hierfür macht sich die Fachgruppe Musik der Gewerkschaft ver.di stark.2

Engagierte zukünftige ­KollegInnen

Die Redaktion erhielt auch zwei Zusendungen von Instrumentalpädagogik-Studierenden der Hochschule für Musik Detmold. Dort hatte die für Berufskunde verantwortliche Professorin Reinhild Spiekermann den Beitrag in ihrem Seminar behandelt und damit intensive Diskussionen ausgelöst. Mich hat beeindruckt, welche umfangreichen und tiefgehenden Gedanken sich die Studierenden bereits in ihrer Ausbildung (auch) zu Tabus und No-Gos in ihrem zukünftigen Beruf machen. Zu wünschen ist, dass solch vorbildliches Enga­gement in Zukunft auch belohnt wird: mit einer Festanstellung an einer pädagogisch und kommunikativ „fitten“ Musikschule.

Selbstironie als Zeichen ­fachlicher Souveränität

Eine Ausnahme unter den Einsendungen war die folgende:

Sehr geehrter Herr Dahlhaus,
vielen Dank für die vielen Anregungen. Ich werde sie alle mal ausprobieren. Meinen Sie, das geht alles auf einmal, oder sollte ich den Knoblauch- und Weingenuss vielleicht von dem Verhältnis mit meinem sechzehnjährigen Schüler zeitlich trennen? Egal, wenn er sich abmeldet, kann ich ihn ja privat unterrichten… Ach so, das Buch Nr. B habe ich noch nicht, Sie brauchen es mir aber auch nicht zu schicken, da ich mich selbstverständlich nicht weiterbilde.
Mit freundlichen Grüßen…

Natürlich kann man diesen Text unterschiedlich deuten. – Für mich hat die Leserin in kreativer Weise den Stil des Preisausschreibens auf ihre Antwort übertragen und zeigt damit, dass sie mit einer Portion Selbstironie auf ihren Beruf blicken kann – was manchmal ganz entlastend sein kann.

1 www.schott-musikpaedagogik.de/de_DE/material/instrument/um/musikschuledirekt/issues/showarticle,39297.html
2 https://musik.verdi.de