Fahrner, Dieter

Das Streben nach Selbstwirksamkeit

Ein Plädoyer für die eigenverantwortliche Gestaltung der inneren Einstellung zu unserem Beruf des Musikschullehrers

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 1/2015 , musikschule )) DIREKT, Seite 10

Kennen Sie die Geschichte von der Mäusestrategie?1 Sie erzä̈hlt von zwei Zwergenmenschen, Grübel und Knobel, und zwei Mäusen, Schnüffel und Wusel. Sie lebten in einem Labyrinth, in dem sie unaufhörlich nach Kä̈se suchten, der sie satt und glücklich machte. Sie rannten täglich zum Käselager, um den köstlichen Käse zu genießen. Grübel und Knobel machten sich keine Gedanken, wie der Käse ins Lager kam, für sie existierte er einfach. Dass sich die Dinge um sie herum veränderten, merkten sie nicht – bis sie eines Morgens in das Käselager kamen und entdeckten: Der Käse ist aufgebraucht! Darauf nicht vorbereitet, empfanden sie dies als große Ungerechtigkeit. Ganz anders die beiden Mäuse. Innerlich auf Neues gefasst, wussten sie: Die Wirklichkeit ist rau. Ständig läuft man Gefahr, seinen Käse zu verlieren. Statt immer nur das zu tun, was bisher erfolgreich war, sagten sie sich: Verändert sich die Lage im Käselager, muss man sich ebenfalls verändern und neuen Käse suchen.
Dieser Parabel bediene ich mich immer gerne, wenn ich von Musikschulen und Verbänden eingeladen bin, um Inputs z. B. bezüglich der Unterrichtshospitation zu vermitteln. Solche Inhalte, und insbesondere natürlich das Thema Identifikation mit der Lehrerrolle, tangieren die Motivationslage der Kolleginnen und Kollegen sehr stark. In diesem Zusammenhang enthält die Käse-Metapher interessante Meta-Botschaften hinsichtlich unseres Verhaltens im doppelbödigen Musikschulgeschehen. Einerseits läuft alles rund, die Nachfrage nach Unterricht ist hoch, die Eltern und Kommunen zahlen. Mit Recht sonnen sich die Schulbetreiber im verdienten Erfolg, für den sie ja auch eine Menge unternehmen: interessante Angebotserweiterungen, äußere Anreize für die Motivation der Mitarbeitenden (Bonus-Regelungen, Gestaltungsfreiheit der Arbeitszeit, gutes Arbeitsklima…). Soweit kann man sagen: Das Geschäftsmodell Musikschule ist erfolgreich.
Erfolg macht aber bekanntlich auch träge und damit sind wir bei der Kehrseite der Medaille. So wird z. B. viel über Leitbilder, über unseren Bildungsauftrag, oft auch über Erkenntnisse der Wissenschaften diskutiert. Gerade von Letzterem ist in der Praxis wenig zu spüren. Unser Bildungsauftrag hat neben der Musikvermittlung ja noch eine tiefere Bedeutung. Laut den Bildungszielen sollte den Schülerinnen und Schülern neben der Musik auch ein Selbst­wirksamkeitskonzept vermittelt werden: Nach John Hattie ist einer der Hauptfaktoren für gelingendes Lernen, im Unterricht das Vertrauen in die eigene Leistung zu fördern.2

Gewohnte Rituale statt Neuem

Theoretisch stimmen wir dem zwar zu, selten schlägt sich dies aber in unserem Unterrichtsstil nieder. Weshalb eigentlich? Sind wir didaktisch ratlos, mangelt es uns an entsprechenden Ideen bezüglich der Verwirklichung? Jedenfalls hat man den Eindruck, bezüglich einer umfassenden Bildungswirksamkeit unseres Unterrichtens werde oft nicht konsequent genug gehandelt. Nach der Devise: „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, sind es überwiegend die gewohnten Rituale, welche das Geschehen im Unterrichtsraum prägen. Wenig Motivation und Berufszufriedenheit sind damit vorprogrammiert. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen spüren: Wir brauchen dringend etwas Neues, Produktives, etwas, das für neuen inneren und äußeren Auftrieb sorgt. An diesem Punkt setzt Motivationsmanagement an.
Geht es um die Motivation für eine bestimmte Sache, sind Menschen sehr unterschiedlich gelagert. So wie nicht alle SchülerInnen gerne eine Sonatine üben, sind nicht alle KollegInnen gleichermaßen motiviert, ihre Kompetenzen regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls nachzurüsten. Wo setzt man nun am besten an, um Einsichten zu fördern, die unsere Motivation steigern? Gute Führungskräfte wissen zwar, dass hierarchische Macht oder taktische Tricks, wie man z. B. mit Worten mehr Einfluss gewinnen kann, keinen wirklichen Einfluss garantieren; nichtsdestotrotz müssen Leitungspersonen die KollegInnen da­zu bewegen, sich mit dem schulischen Leitbild zu identifizieren und dies mit hoher Einsatzbereitschaft in die Tat umzusetzen.

Grundsatz der Wahrhaftigkeit

Identifikation und Einsatzbereitschaft hängen in hohem Maße von der inneren Haltung ab, mit der wir unseren Beruf ausüben. Unsere Motivation sollte nicht nur von äußeren Anreizen abhängen, vielmehr sollten wir fähig sein, uns selbst zu motivieren. Wer diese Einsicht erfolgreich vermitteln möchte (der Chef den Mitarbeitenden, die Lehrperson ihren Schülerinnen und Schülern), muss den Grundsatz der Wahrhaftigkeit beherzigen. Für mich heißt dies: Ich gehe mit dem „Mitarbeiter“ (den ich wegen unserer persönlichen Verbundenheit aber lieber als Kollegen bezeichne) auf Augenhöhe um und versuche den inneren Menschen zu erreichen. Dabei ist es mir wichtig,
– im Sinne von gelingender Verständigung immer Klartext zu reden,
– stets beiderseitig stimmige Lösungen zu finden,
– alle Tugenden, die ich von den Kollegen erwarte, selbst vorbildlich zu verkörpern.
Die Moral der Mäusegeschichte: Die beiden Zwergenmenschen Grübel und Knobel täten, anstatt sich über den schwindenden Käse aufzuregen, gut daran, ihre Lage zu reflektieren – zum einen die Situation (wo man dauerhaft neuen Käse herbekommt) und zum anderen ihre innere Einstellung (erwarte ich, dass jemand den Kä­se serviert, oder kümmere ich mich selbst darum?).

Selbstkritische Bestandsaufnah­me

Übertragen auf die Musikschule ist im Vorfeld von systemischer und personaler Intervention zunächst eine selbstkritische Bestandsaufnahme der Realität angesagt. Im Klartext formuliert, lautet das Ergebnis wahrscheinlich wie folgt:
– Fast jeder unterrichtet nach eigenem Gutdünken, das heißt meist ohne Orientierung an Qualitätsnormen. Im überwiegend erteilten Einzelunterricht dominieren frontale Methoden.
– Außer in Projekten gibt es wenig kollegiale Zusammenarbeit, verbreitet ist überwiegend das Einzelkämpfertum. Die Auswirkungen: ein Mangel an kollegialem Wir-Gefühl, ein Qualitätsgefälle innerhalb des Kollegiums.
Davon kann man sich natürlich negativ betroffen fühlen, andererseits kann Klartext auch Motivation zur Veränderung auslösen. Dann entstehen aus der anfäng­lichen Betroffenheit heraus die tollsten Reformideen. Das zentrale Anliegen einer anspruchsvollen Reform sollte die Qualität unseres Unterrichts sein. Da wir uns als Bildungsinstitution verstehen, sollten wir ihm den höchsten Stellenwert einräumen. „Unter allen Bildungsmaßnahmen hat unsere Unterrichtsgestaltung primären Einfluss auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler“, sagt John Hattie. Dies legt nahe, folgende SOLL-Ziele zu formulieren:
– eine Qualitätsoffensive in den Bereichen Unterricht und Kommunikation,
– die Bereitschaft zur Selbstentwicklung und zur kollegialen Zusammenarbeit.
Die Diskrepanz zwischen IST und SOLL sorgt für Dynamik. Die meisten KollegInnen fühlen sich in ihrer Verantwortlichkeit herausgefordert, denn sie wissen: Der Erfolg der Schule hängt wesentlich davon ab, wie zuverlässig jeder Einzelne seine Rolle in ihr erfüllt. Um die KollegInnen zu motivieren, sich auf den Veränderungsprozess einzulassen und mitzuhelfen, die gesteckten Ziele zu erreichen, muss sowohl der Aufwand als auch der Nutzen kommuniziert werden. Aufgewendet werden muss neben Zeit vor allem Veränderungsenergie, denn der Veränderungsprozess ist auch belastend – es gibt Phasen der „Pein“ (wenn noch keine Lösungen gefunden sind), des „Spaßes“ (wenn sich Ideen einstellen) und der „Anspannung“ (während der Umsetzung des Vorhabens).

Innere Führung

Die Anstrengungen sind aber nicht nur für die Schule, sondern auch für die KollegInnen persönlich von Nutzen. Was jeder erwarten darf, ist eine Erweiterung des Hand­lungsrepertoires, vermehrte positive Rückmeldungen auf das Unterrichten, mehr Berufszufriedenheit und eine große Bereicherung der Persönlichkeit in Form eines Selbstwirksamkeitskonzepts, welches dazu befähigt, sich selbst innerlich zu führen.
Innere Führung ist:
– wenn ich Kompetenzerwerb als aktive, weitgehend selbstgesteuerte Konstruktions­leistung begreife – das heißt, ich kann meine Motivation durch soziale Interaktion be­flügeln lassen, wollen muss ich aber selbst!;
– die Haltung, nie aufzuhören, sich ver­bessern zu wollen (wer immer nur tut, was er kann, bleibt immer nur das, was er ist);
– über ein taugliches Selbstwirksamkeitskonzept zu verfügen.
Der Kern des Selbstwirksamkeitskonzepts ist das Streben nach „inneren Leitplanken“, an denen ich mein Denken und Handeln orientiere. Die Basis des Selbstkonzepts bilden in der Regel die Primärtugenden, Leistungsbereitschaft (eine positive innere Hal­tung zur Leistung) und Leistungsfähigkeit:
– Ich bin ein ambitionierter Lerner, bin neugierig (gierig auf Neues) und bilde mich ständig fort.
– Ich kenne meine Rolle im System Musikschule und erfülle diese eigenverantwortlich und zuverlässig (guter Unterricht ist für mich z. B. Pflicht).
– Ich bin zur kritischen Selbsthinterfragung bereit (nur der mit sich Zufriedene muss nicht über sich nachdenken).
– Ich bin zur Selbstmotivation fähig (kann mich selbst steuern, bin dabei zielstrebig und gebe nicht so schnell auf).
– Ich bin in der Lage, ein anspruchsvolles Anforderungsprofil zu erfüllen (kann professionell musizieren, unterrichten und kommunizieren).
In der operativen Phase personaler Intervention angekommen, überprüfe ich nun, inwiefern ich bereits den oben beschriebenen Kriterien entspreche bzw. was ent­wickelt werden sollte. Nach der Devise: „Willst du ’ne gute Lehrkraft sein, dann schau mal in dich selbst hinein“, nehme ich mit meiner inneren Person Kontakt auf und mache eine Bestandsaufnahme. Einen analytischen Zugang, sowohl zu den Phänomenen unserer inneren Landschaft (den Gefühlen, Ambivalenzen, Beziehungen) als auch zu den Auswirkungen unserer geistigen Haltung, erhalten wir am besten mit Hilfe der Modelle „Inneres Team“,3 und „Teufelskreis“4 – beides bewährte Tools aus der Kommunikationspsychologie.
Anhand des „Inneren Teams“ wird mein eingefleischtes persönliches Strickmuster mit all seinen unterschied­lichen Wesenszügen anschaulich. Auf dieser Basis beginne ich, mein bisher einzig wahres Strickmuster zu flexibilisieren: Gemäß den Figuren auf einem Schachbrett ordne ich die in Bezug auf Zukunftsgestaltung eher kont­raproduktiven Wesensanteile – wie der im Bestehenden Verhaftete und der Skeptiker – mehr im Hintergrund an. Die für innovatives Denken und Handeln bedeut­samen Instanzen – wie der motivierte leistungsbereite Macher oder der Fachkompetente – platziere ich dafür im vorderen Teil meines inneren Teams (Abb. 1).5
Auf diese Weise kann man übrigens auch die innere Haltung zur Unterrichtshospitation beeinflussen. Anfangs wird es oft als heikel empfunden, dem Unterricht anderer beizuwohnen und diesen zu kommentieren. Erkennt man mit Hilfe dieses Modells aber die Möglichkeiten, die z. B. für das Feedbackgespräch wichtigen inneren Wesenszüge wie den zur Konfrontation und Wertschätzung Fähigen zu mobilisieren, verliert sich die Scheu vor der Öffnung für den kritischen Dialog.

Prinzip der Selbstverstärkung

Die nächsten Abbildungen veranschaulichen das zirkuläre Prinzip der Selbstverstärkung anhand des Teufelskreis-Modells. Dieses hilft zu erkennen, wie sich innere Haltungen auf das äußere Geschehen auswirken können. Im ersten Beispiel (Abb. 2) geht es um Lehrperson A, die der Unterrichtshospitation ablehnend gegenübersteht. Sie arbeitet isoliert und der Teufelskreis nimmt Fahrt auf: mit sich selbst zufrieden, muss sie nicht über ihren Unterricht nachdenken; die Arbeit verkommt zur Routine; die Freude am Unterrichten schwindet; der Kreislauf beginnt wieder von vorne, die Folgen verstärken sich…
Mit Hilfe dieser Darstellung wird offensichtlich: So ist man den aktuellen Herausforderungen bald nicht mehr gewachsen, man verliert den Anschluss und ist der Gefahr ausgesetzt, im System zur Altlast zu werden! Statt selbst zu gestalten, wird man nun gestaltet – bekommt Vorgaben übergestülpt und muss am Ende noch gegen seine (nicht mehr zeitgemäße) Überzeugung unterrichten.
Wird die negative Dynamik bewusst, kann man das Gesetz der automatischen Selbstverstärkung umkehren zum Energieprinzip der Motivation. Von nun an lautet die Devise: „Je besser etwas geht, desto leichter stellen sich positive Veränderungen ein.“ Im zweiten Beispiel (Abb. 3) hospitiert Lehrperson B: Sie fühlt sich ermutigt, in ihrem Unterricht etwas Neues auszuprobieren; erste kleine Erfolge stellen sich ein, die Freude daran verstärkt sich; die Lehrkraft wird offen dafür, alte ausgetretene Pfade zu verlassen und sich auf Ungewohntes einzulassen. Damit wird die Motivationsspirale in Gang gesetzt und sorgt für ein stetes Anwachsen der Lust nach Veränderung.

1 Spencer Johnson: Die Mäusestrategie für Manager. Veränderungen erfolgreich begegnen, Hugendubl, Kreuzlingen/München 2000.
2 s. John Hattie/Wolfgang Beywl/Klaus Zierer: Lernen sichtbar machen, Schneider, Tutzing 2013.
3 s. Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden, Band 3, Rowohlt, Reinbek 1998, ab S. 25.
4 s. Friedemann Schulz von Thun/Christoph Thomann: Klärungshilfe, Band 1, Rowohlt, Reinbek 2014, S. 265 (S. 330).
5 s. auch: Dieter Fahrner: Begeisternd und kompe­tent unterrichten, Schott, Mainz 2013, S. 54 bis 60.