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Probst, Karin

Ja zum Nein

Gerade MusikerInnen und Musiklehrkräfte müssen lernen, sich abzugrenzen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 6/2019 , musikschule )) DIREKT, Seite 06

Menschen, die in den Künsten und der Kunstpädagogik arbeiten, haben einen kleinen Nachteil: Sie arbeiten gerne, ob aus Liebe zur Musik, aus intrinsischer Motivation oder einfach aus Leidenschaft. Und manchmal führt gerade dies zu einem Missverständnis, was sich an den Honorarsätzen oder an dem nicht immer feinen und fairen Umgang mit Zeit und Kraft von Musiklehrkräften zeigen kann.

Der Fähigkeit, sich gelassen abzugrenzen, kommt hier also eine besondere Wichtigkeit zu, um ausreichend Freilauf für die eigene künstlerische Arbeit und Gesundheit zu haben. Man sollte doch eigentlich meinen, wenn man täglich musiziert, könnte man von den heilsamen Auswirkungen der Musik auf Körper und Geist profitieren: Doch leider macht es einen Unterschied, ob man zweckfrei, als musischen Ausgleich spielt oder einen Brotberuf ausübt. Der professionelle Musiker oder die Musikpädagogin braucht meist noch andere Freiräume, Momente des Nichtstuns, um die eigenen Batterien wieder aufzuladen. Und das bedarf gerade in diesem Bereich besonderer Abgrenzungskompetenz, um den Feierabend gebührend feiern zu können! Oder überhaupt erst einmal als Feierabend wahrzunehmen…
Warum ist es eigentlich so schwer, dieses „Im-Moment-Sein“ beziehungsweise die Balance von Egoismus und Altruismus mit Leichtigkeit zu finden? Um in der Musikpädagogik seine Profession zu finden, braucht man sicher eine gehörige Portion Disziplin, Verantwortungsbewusstsein und auch Einsatz – alles Stärken, die es vielleicht auch unterstützen, hier mal ein unbezahltes Konzert, eine kostenfreie Verlängerung des Unterrichts oder ein Gespräch mit den Eltern zu erbringen. Es sind ja gerade die Stärken, die letztlich zu Stress führen – und es so dringend nötig machen, dass man den passenden Antagonisten dazu einlädt: Selbstfürsorge, ein Ja zum Nein… Doch manchmal lädt man sich mit dieser Fähigkeit gleich noch einen unliebsamen Begleiter ein: das schlechte Gewissen.
Was wir also brauchen, ist eine Art „Zwickmühlen-Management“, ein Aushalten dessen, dass wir es trotz aller Mühen langfristig kaum schaffen können, die Belange der Arbeit, Familie und Selbstfürsorge harmonisch und gerecht auszubalancieren. Viele Menschen meinen zum Beispiel, sie könnten nicht Nein sagen und möchten dies dringend lernen. Aus meiner Sicht stimmt das so nicht ganz, weil sie bereits Nein sagen können – und zwar zu sich selbst. Es gilt also lediglich, zusätzlich zu lernen, auch ein Nein zu einem anderen zu sagen – und dabei gleichzeitig ein Ja zu sich.

Egoismus: Handeln im Einklang mit sich selbst

Zunächst ist alles Tun gesteuert davon, dass wir unsere eigenen Bedürfnisse befriedigen wollen. Also nicht nur Essen und Schlafen, sondern z. B. auch Effizienz, Harmonie oder Respekt. Auch anderen zu helfen, ist ein Grundbedürfnis von uns, ein sehr ausgeprägtes sogar. Und immer, wenn wir etwas tun, das unsere Bedürfnisse erfüllt, erfahren wir Freude und Zufriedenheit. Eine bessere Burnout-Prävention gibt es nicht. Das Bewusstwerden der schönen Momente im Alltag, ein Lächeln, ein intensiver Austausch oder ein guter Kaffee wirken sich auf unsere Gesundheit, Psyche, ja sogar auf die neuronalen Strukturen aus.
Nehmen wir als Beispiel die Situation, dass ein Konzert der Musikschule besondere Vorbereitung verlangt. Andererseits bräuchte man selbst mal Zeit, sich auf ein eigenes Konzert vorzubereiten. Was tun? Meist entscheiden wir uns für die Belange der Anderen, weil Altruismus bereits in unseren Genen verankert ist. Die menschliche Spezies hätte ohne diese Grundbefähigung zum Kollektiv nicht überlebt. Wir entscheiden außerdem oft zugunsten kurzfristiger Lösungen, nach dem Motto: Ich mache es halt schnell, dann habe ich wenigstens meine Ruhe…
Evolutionär gesehen hat die Priorisierung von kurzfristig wirksamen Lösungen Sinn gemacht, weil man ja schließlich nicht wusste, wie lange man noch lebt. Heutzutage aber sehen wir nicht nur im Privaten, sondern auch mit Blick auf unsere gebeutelte Umwelt die Folgen davon, dass es wohl noch eine Weile brauchen wird, bis wir gelernt haben, langfristig zum Wohle aller zu denken. Es könnte also hilfreich sein, wenn wir zwischen den vielen Anforderungen, die von außen und von innen auf Erledigung drängen, kurz innehalten, um zu überlegen: Was ist langfristig gesehen meinen Zielen dienlicher? Ist es wirklich besser, mit Unmut dem Drängen der professionellen Anforderung nachzugeben (oder vielleicht macht man es ja auch gerne?) und die eigenen körperlichen und seelischen Belange zurückzustellen?
Leider hätten wir in der Entwicklung unserer Spezies bisher wohl keine evolutionären Vorteile entwickeln können, wenn wir auf eine „Sowohl-als-auch“-Lösung bestanden hätten: Sowohl deine Belange sind wichtig als auch die meinen. Man stelle sich vor, man würde in dieser Weise mit einem Bären kommunizieren: „Lieber Bär, ich sehe, du willst mich fressen, um dein Überleben zu sichern, das macht aus deiner Sicht sicher Sinn. Ich aber möchte noch ein Weilchen leben – was machen wir denn jetzt?“

Für ein Nacheinander ­entscheiden

Wenn man also das tägliche Druckerleben als Ausdruck dessen sehen könnte, dass im Moment zwei oder sogar manchmal mehr Bedürfnisse in uns lebendig sind (im obigen Beispiel waren es „Unterstützung geben“ und „eigene Ziele“ erreichen), dann könnten wir anfangen, uns klar und konsequent zu entscheiden für ein Nacheinander statt eines „Entweder oder“. Alle Prob­leme stammen von einem mangelnden Energieausgleich zwischen Geben und Nehmen: Gerade in einem sich verschenkenden Beruf wäre es also an der Zeit, dem Nehmen ebenso zu huldigen wie dem Geben. Zum Beispiel: „Ich unterstütze die Musikschule und meine Schüler gerne und möchte folgenden Energieausgleich vorschlagen…“. Oder mit einem Bedauern das Ansinnen ablehnen: „Liebe Musikschule, im Moment bin ich in Vorbereitung auf ein wichtiges Konzert und hätte mich über eine frühere Information oder größere Beteiligung der Kollegen sehr gefreut. Was machen wir denn jetzt?“

Implizierte Lösung

Im Sinne der lösungsorientierten Kommunikation sagt man hier, was man möchte – ohne den anderen durch Kritik oder Ablehnung zu beschämen. Beim Metzger haben wir dieses zielführende Verhalten bereits gelernt. Hier treffe ich kaum Menschen, die sagen: „Ich will keine Salami!“ und dann davon ausgehen, dass der Metzger schon weiß, dass man feine Gelbwurst möchte.
Statt sich zu ärgern, ergibt es also Sinn, klar anzusprechen, was man als hilfreich empfinden würde – auch wenn es nicht erfüllt werden kann. Man weiß mittlerweile, dass das stressgeplagte Erleben von Druck („Ich sollte“) sich sogar auf unser Erbgut auswirken kann. Es bilden sich sogenannte Histone, die man sich wie Masken auf dem Erbgut vorstellen kann. In Momenten der Ruhe oder der achtsamen und gütigen Kommunikation mit sich selbst werden diese Genome demaskiert – und können ihre Arbeit im ursprünglich gedachten Sinne wieder aufnehmen.
Wenn Sie also schon die Welt nicht ändern können, dann wäre es an der Zeit, den Blick auf diese etwas freundlicher zu gestalten und dem Lästern oder Abwerten weniger Raum zu geben – im Wissen da­rüber, dass man sich dadurch die Kraft nimmt, wirklich etwas zu gestalten, und sich und seine Nachkommen sogar schädigt.

Wohlüberlegte Entscheidungen treffen

Wenn Sie also in einer Abgrenzungssituation zu sich sagen: „Ich mache es jetzt, so gut ich kann! Wenn ich es besser könnte, dann würde ich es machen! Ich darf meine Belange genauso im Blick haben wie die Belange anderer!“, dann helfen Sie Ihrem Gehirn mit den Bereichen zu antworten, die Denken und wohlüberlegte Entscheidungen möglich machen – statt mit gestressten Reflexhandlungen, Schuldzuweisungen, Druckgefühlen oder Abwertungen. Ich denke, also bin ich. Oder: So wie ich auf die Welt schaue, so schaut sie auf mich. Frei nach Karl Valentin finde ich folgenden Spruch hilfreich, um dem zuzustimmen, was gerade eben ist: „Ich freue mich, wenn ich im Stau stehe, denn wenn ich mich nicht freue, stehe ich dennoch im Stau!“
Statt sich also mit Klagen und Lamentieren abzugeben, dass man im Stau steht, könnte man ein Hörbuch mitnehmen und das Beste daraus machen. Stress entsteht immer, wenn ich möchte, dass die Welt anders ist, als sie nun mal eben ist: Ich sollte dünner sein, mein Partner liebevoller, meine Kollegin stiller, der Stau weg und die Welt insgesamt viel besser…

Die Welt betrachten, wie sie gerade ist

Im Zen-Kloster gibt es ein Ritual, beim Klang eines Glöckchens kurz innezuhalten und zu reflektieren: Ergibt das, was ich im Moment mache, überhaupt Sinn? Fühlt es sich stimmig an? Was brauche ich eigentlich? Es würden drei Minuten am Tag reichen – ein kleines Innehalten, um dieses freundliche Im-Moment-Sein zu üben. Gerade für Menschen, die mit und für andere Menschen arbeiten, ist es wichtig, über einen Strategie-Blumenstrauß aus Zeit-Konfliktmanagement und Entspannungstechniken zu verfügen, um zu spüren, wo gerade das eigene Nein und das implizite Ja liegen. Jedem Nein wohnt ein Ja inne. Es empfiehlt sich also, täglich drei Minuten Nichtstun zu praktizieren – als kleine Fingerübung der gelassenen Abgrenzungskompetenz.