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Busch, Barabara / Barbara Metzger

Sensibel ausbalanciert

Von der Kunst, Musizierunterricht ­dramaturgisch zu gestalten

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2021 , Seite 12

Unabhängig davon, ob im Unterricht instrumental, vokal oder ­elementar musiziert wird,  immer geht es darum, ebenso abwechslungsreich wie lustvoll zu lehren und zu lernen. Um dabei sowohl den beteiligten Men­schen als auch der Sache Musik ge­recht zu werden,  sind die Unterrichts­angebote – mal mehr, mal weniger – vorzubereiten. Doch aller  Planung zum Trotz entscheidet sich die tatsächliche Unter­richtsqualität erst im Geschehen selbst: Im gemeinsamen Tun entsteht ein Spannungs­verlauf, der situationsgerecht spontan beeinflusst ­werden kann. Hierfür stehen dramaturgische Mittel zur Verfü­gung, an die zu erinnern sich lohnt.

Der Begriff „Unterricht“ wird in unterschiedlichen Kontexten mit größter Selbstverständlichkeit verwendet, als sei seine Erläuterung überflüssig. Doch ein Blick in die Fachliteratur belegt das Gegenteil. Trotz zahlreicher Definitionsversuche gibt es keine einheitliche Begriffsbestimmung für den Terminus Unterricht. Im Sinne einer Arbeitsdefinition lässt sich allerdings ein kleinster gemeinsamer Nenner formulieren: Unterricht ist eine (analoge bzw. digitale) Begegnung von Mensch zu Mensch, in der planmäßig, absichtsvoll sowie meist professionalisiert und institutionalisiert die Gewinnung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Einsichten angestrebt wird.1
Doch wie kann eine solche Begegnung im Musizierunterricht sinnvoll gestaltet werden? Auf der Suche nach Antworten mögen Bilder wie diese auftauchen: Den roten Faden nicht verlieren! Den Ball in der Luft halten! Im Fluss bleiben! Alle drei Bilder lassen sich auf die Gestaltung von Unterricht beziehen, der – vergleichbar mit der Dramaturgie eines Theaterstücks – einen Prozess darstellt, in dem Zeit strukturiert ist und kommunikativer Austausch ermöglicht wird. Diese unter einem Spannungsbogen stehende zeitliche und inhaltliche Strukturierung einer Unterrichtsstunde verstehen wir unter dem Begriff der Unterrichtsdramaturgie.2
Unsere eigene unterrichtspraktische Erfahrung zeigt, dass Unterricht dann als gelungen bezeichnet werden kann, wenn er über einen Spannungsverlauf verfügt, der von allen Beteiligten als stimmig empfunden wird.3 Damit rücken dramaturgische Mittel in den Fokus, mit denen sich die Qualität des Spannungsverlaufs beeinflussen lässt. Bei der Unterrichtsplanung sind diese Mittel zu bedenken, obwohl ihre Wirkung zunächst offenbleibt, denn entfalten werden sie sich erst im Kontext der Unterrichtsdurchführung.4 Hier folgen wir Ulrich Mahlert, der betont, dass der Begriff der Unterrichtsdramaturgie im Kontext des instrumentalen Musizierens auf den konkreten Moment des Unterrichtens verweist, mithin auf „das zu einem hohen Anteil situationsspezifische, aus der jeweiligen Situation generierte Handeln“5 von Lehrperson und Lernenden.
Die von Juliane Ribke (bereits vor Ulrich Mahlert) formulierten Überlegungen gehen gleichwohl über diese Beschreibung hinaus, indem qualitative Merkmale einer ausbalancierten Unterrichtsdramaturgie (hier bezogen auf das Elementare Musizieren) benannt werden. Aus Ribkes Sicht beruht diese auf dem „rhythmisch-periodischen Wechsel zwischen verschiedenen Verhaltensqualitäten“,6 mithin „auf einem schwingenden Hin und Her von verschiedenen musikalischen Verhaltensebenen, verschiedenen Möglichkeiten der Raumnutzung, Aktionen im Sitzen bzw. am Platz und in der Fortbewegung, Konzentration, Assoziation und [im] freien Fluss der Ideen, [in] selbstbestimmten, vereinbarten und vorgeschriebenen Handlungen, Innenwendung und Außenwendung, Dynamik und Stille, Einzel-, Partner- und Gruppenaktionen, Wiederholung und Weiterführung, Ritual und Überraschung“.7 Hinter dieser Aufzählung verbirgt sich nach Ribke das Prinzip der dramaturgischen Gestaltung, das – neben dem Prinzip der Phrasierung und dem Prinzip der inneren Kohärenz – „für den methodischen Aufbau von EMP-Unterrichtseinheiten gilt“.8 Wenn wir im Folgenden Mittel zur Beeinflussung der Qualität des Spannungsbogens benennen, dann finden sich Querverbindungen zu den von Ribke formulierten Prinzipien.

Mittel zur dramatur­gischen Gestaltung

Im Kontext unserer eigenen musizierpädagogischen Arbeit haben sich die folgenden Mittel zur dramaturgischen Gestaltung herauskristallisiert. Sie alle finden Platz sowohl in der Unterrichtsplanung als auch in spontanen Reaktionen während des Unterrichts:

Unterrichtselemente: Kontrast und Konstanz
Der Spannungsverlauf einer Unterrichtsstunde ist zu beeinflussen, indem mit Kontrast und Konstanz gearbeitet wird: Beide Parameter beziehen sich auf zentrale, den Unterricht konstituierende Elemente wie Inhalte, Methoden, Ziele, Aktionsformen, Materialien und Raumnutzung. Wird beispielsweise im Flötenunterricht zunächst das Überblasen thematisiert und anschließend eine rhythmische Figur ohne Instrument geübt, dann stellt dies auf inhaltlicher Ebene einen Kontrast dar. Folgt in einer anderen Stunde der Überblasübung eine Anwendung dieser Spieltechnik in einer Komposition, dann wäre von inhaltlicher Konstanz zu sprechen. In beiden Beispielen könnten alle Aktionen z. B. im Sitzen an Ort und Stelle stattfinden; damit wäre Konstanz in der Raumnutzung gegeben. Erfolgt aber die Arbeit am Überblasen frei im Raum stehend, dann ergibt sich in der Raumnutzung ein Kontrast.
Das Spiel mit Kontrast und Konstanz findet sich in Ritualen wieder, mit denen besonders in der Elementaren Musikpraxis explizit gearbeitet wird. Rituale wie die Eröffnung einer Früherziehungsstunde mit immer dem gleichen Begrüßungslied stehen hier für das unterrichtsdramaturgische Mittel der Konstanz. Sie geben Sicherheit und Orientierung. Sollten Rituale aber zur Routine verflachen, dann ist auf das dramaturgische Mittel des Kontrasts zurückzugreifen. So könnte sich der Verzicht auf das Begrüßungslied anbieten, wenn die Kinder es nicht mehr bewusst singen und somit das Ziel der Einstimmung auf das gemeinsame Tun nicht erreicht wird. Mit einem rhythmisierten Namensspiel, das einen Kont­rast zum gewohnten Begrüßungslied bildet, könnte dieses Ziel wiederum erreicht werden und dadurch die dramaturgische Spannung gewahrt bleiben.

Phasen: Strukturierung und Rhythmisierung
Eine Unterrichtsstunde besteht aus mehreren Phasen. Darunter sind Zeitabschnitte zu verstehen, die die Unterrichtsstunde gliedern; ihre Ausgestaltung und Reihenfolge resultieren aus der methodischen Ausrichtung bzw. aus der Art und Weise, wie die Lernenden mit den Unterrichtsinhalten umgehen, und führen somit zur Strukturierung der gesamten Stunde. Damit geht einher, dass jede Phase über eine bestimmte Funktion im Unterrichtsgeschehen verfügt. Folgende Funktionen sind charakteristisch für den Musizierunterricht:9
– in Kontakt treten mit allen am Unterricht Beteiligten
– atmosphärische Einstimmung auf das Unterrichtsgeschehen bzw. atmosphärischer Ausklang
– Spielbereitschaft herstellen
– inhaltliche Hinführung
– Erstbegegnung mit einem neuen Unterrichtsinhalt oder einer neuen Komposition
– Üben bzw. Ausdifferenzierung eines bekannten Unterrichtsinhalts
– Transfer von Unterrichtsinhalten auf neue Kontexte
– inhaltliche Zusammenfassung
– Musizieren als Selbstzweck
Die Funktionen von Phasen zu kennen, hilft in der Unterrichtsplanung, den Spannungsverlauf zu antizipieren. Im Unterrichtsverlauf selbst trägt die Kenntnis der Funktionen dazu bei, den Spannungsverlauf spontan situationsadäquat zu beeinflussen. Dies illustriert das folgende Beispiel: Das Spielen eines bekannten Musikstücks verbunden mit der Funktion „Musizieren als Selbstzweck“ wird beispielsweise von der Cello-Schülerin abgebrochen mit der Frage nach einem bequemeren Lagenwechsel. Die Lehrkraft geht darauf ein. Damit tritt die Funktion „Ausdifferenzierung eines bekannten Unterrichtsinhalts“ in den Vordergrund.

1 vgl. Ewald Terhart: Didaktik. Eine Einführung, Stuttgart 2009, S. 102-106.
2 Nach unseren Recherchen zählt Ulrike E. Jungmaier zu den ersten AutorInnen, die den Begriff der Dramaturgie im Kontext des Elementaren Musizierens verwenden; gleichwohl verzichtet sie auf eine Präzisierung (vgl. Ulrike E. Jungmaier: Das Elementare. Zur Musik- und Bewegungserziehung im Sinne Carl Orffs. Theorie und Praxis, Mainz 1992, S. 218-231).
3 vgl. hierzu: Verena Beyrer/Barbara Busch/Mirjam Decker/Severin Krieger: „Was ist guter Instrumental­unterricht? Die Heterogenität von Lernenden verlangt keinen speziellen, sondern guten Unterricht!“, in: impuls:vlk 3-2017, S. 23-27, https://vlk.ac.at/files/uploads/downloads/forschung/Impulsvlk_3-2017_Gesamtdokument.pdf (Stand: 17.6.2021).
4 Der enge Bezug von Unterrichtsplanung/Unterrichtsdramaturgie spiegelt sich auch in dem gleichnamigen Beitrag von Sabine Ani Schmid in: Michael Dartsch/ Claudia Meyer/Barbara Stiller (Hg.): MP kompakt. Kompendium der Elementaren Musikpädagogik, Teil 1: Lexikon, Esslingen/Innsbruck 2020, S. 609-613.
5 Ulrich Mahlert: Wege zum Musizieren. Methoden im Instrumental- und Vokalunterricht, Mainz 2011, S. 114.
6 Juliane Ribke/Johanna Metz: „Elementare Musikpäda­gogik“, in: Siegmund Helms/Reinhard Schneider/Rudolf Weber (Hg.): Praxisfelder der Musikpädagogik, Kassel 2001, S. 15-36, hier: S. 26.
7 ebd.
8 ebd., S. 24.
9 vgl. Barbara Busch/Barbara Metzger: „Strukturieren einer Unterrichtsstunde“, in: Barbara Busch (Hg.): Grundwissen Instrumentalpädagogik. Ein Wegweiser für Studium und Beruf, Wiesbaden 22021, S. 301-303.

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