Naoumoff, Emile

24 Soul Etudes

für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott Music
erschienen in: üben & musizieren 6/2021 , Seite 66

Emile Naoumoff wurde 1962 in Sofia geboren. Mit fünf Jahren erhielt er seinen ersten Klavierunterricht, ein Jahr später zusätzlich Unterricht in Komposition. Mit acht Jahren wurde er Schüler von Nadia Boulanger, die ihn bis zu ihrem Tod im Jahr 1979 unterrichtete. Neben seiner weltweit erfolgreichen Karriere als Pianist unterrichtete er ab 1984 am Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris, seit 1998 ist er Professor an der School of Music der Indiana University in Bloomington, USA.
Seine 24 Soul Etudes für Klavier verstehen sich in erster Linie als Ausdrucksstudien. Der Komponist bezeichnet sie im Vorwort als „ein Kaleidoskop aus Landschaften der menschlichen Seele“ und als eine Gelegenheit für Spieler und Hörer, in poetische Traumwelten einzutauchen. Bereits die Titel vieler Stücke bringen diese Zielsetzung zum Ausdruck: Rhapsodic Soul Etude, Tender Soul Etude, Sun Rising Soul Etude, Ecstatic Soul Etude usw.
Jedes Stück geht aus einem eingängigen, zumeist nur zwei bis vier Takte umfassenden Motiv hervor, das in fantasievoller, kompositorisch differenzierter und komplexer Weise verarbeitet wird. Dabei werden alle klanglichen Möglichkeiten des Klaviers ausgeschöpft: eine reiche, farbige Harmonik, polyfone und polyrhythmische Bildungen, Einbezug aller Oktavlagen, großer Dynamik-Umfang. Das Pedal findet reichlich Verwendung. Sugges­tive Vortragsbezeichnungen zielen auf die unmittelbare emotionale Resonanz des Spielers oder der Spielerin, wie z. B. in der ersten Soul Etude, die innerhalb weniger Takte das folgende kleine Psychogramm entwirft: „Heroic and wounded“ – „Smile with a tear“ – „Intimate while intense“ – „Hugging cadence“ – „Deeply sung“ – „In elevation“.
Obwohl jedes Stück sich auf eine Tonart beziehen lässt, verwendet der Komponist keine Tonart-Vorzeichnungen, sondern arbeitet ausschließlich mit Versetzungszeichen. Bei den komp­lexen Akkorden und schnell wechselnden harmonischen Zent­ren innerhalb der Stücke erleichtert diese Notationsweise die Lesbarkeit. Das Grundtempo der meisten Soul Etudes ist langsam, daher dauert die zyklische Aufführung aller 24 Stücke beinahe zwei Stunden. Häufiger als für eine Gesamtaufführung dürften PianistInnen sich dafür entscheiden, einige Stücke aus den Soul Etudes in ein Programm mit Werken verschiedener KomponistInnen aufzunehmen.
Die Uraufführung des gesamten Zyklus durch den Komponisten (2015) ist bei YouTube zu sehen und zu hören. Dabei fällt besonders die große agogische Freiheit auf, die sein Spiel wie imp­rovisiert wirken lässt.
Sigrid Naumann