Lessing, Kolja

Musikalisches Geburtstagsalbum für Viki

Kleine Kadenzen, Kanons und Präludien für Pianoforte von Eusebius Mandyczewski (1857-1929)

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 4/2022 , Seite 40

„Es gehört zu den Zierden eines Klavieristen, wenn er, besonders in Privatzirkeln beim Vortrag von Solostücken, nicht gleich mit der Composition selbst anfängt, sondern durch ein passendes Vorspiel die Zuhörer vorzubereiten, zu stimmen, und auch dabei die Eigenschaften des ihm vielleicht fremden Fortepianos auf schickliche Art kennen zu lernen, im Stande ist.“1
Mit diesen Worten umreißt Carl Czerny die im 19. Jahrhundert weit verbreitete Praxis des pianistischen Präludierens, der er in seiner 1833 bei Diabelli erschienenen Kunst des Präludierens op. 300 ein noch heute faszinierendes Kompendium von 120 Beispielen dieser gleichsam antizipierenden Gattung von Solostücken widmete. Auch Ferdinand Ries, wie Czerny einer der herausragenden Schüler Beethovens, hat mit seinen 40 Präludien op. 60 bereits 1815 eine ähnliche Sammlung pianistischer Miniaturen von unterschiedlichstem Charakter und facettenreicher Virtuosität veröffentlicht.2
Genau ein Jahrhundert später – mitten in den brutalen Wirren des Ersten Weltkriegs – komponierte Eusebius Mandyczewski 1916 zum 12. Geburtstag seiner einzigen Tochter Virginia, genannt Viki, eine erst vor wenigen Jahren entdeckte Sammlung Kleine Kadenzen, Kanons und Präludien,3 die sich als Rückblick – in 38 Aphorismen – auf eine ausklingende Epoche entpuppt

1 Czerny, Carl: Systematische Anleitung zum Fantasieren auf dem Pianoforte op. 200 (1829), Faksimile-Ausgabe, hg. von Ulrich Mahlert, Wiesbaden 1993, S. 5.
2 Eine von Jost Michaels besorgte Neuausgabe der Präludien op. 60 erschien 1988 bei Ries & Erler, Berlin.
3 Erstausgabe hg. von Dietmar Friesenegger, Edition Breitkopf 9355 (2020).

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