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Nastoll, Corina

Vom einsamen zum gemeinsamen Hören

Konzerte mit SchülerInnen als Höranlass

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 6/2022 , Seite 26

Schon verrückt: Im Konzertsaal sitzen viele Menschen beieinander, um gemeinsam der Musik zu lauschen – das Hören selbst, mit all den Gedanken, Bildern und Erinnerungen, die die Musik hervorrufen kann, ist allerdings ein recht einsamer und hochgradig individueller Vorgang. Doch wie kann es gelingen, z. B. bei Schülerkonzerten beim gemeinsamen Musikhören Beziehungen zu stiften?

In der Planung und Vorbereitung von Schülerkonzerten steht aus naheliegenden pädagogischen Bestrebungen heraus die Performance der SchülerInnen im Zentrum. Jede Auftrittssituation hat jedoch zwei Seiten: Musizierende und Zuhörende. Und nicht selten finden sich SchülerInnen während einer Veranstaltung sowohl auf der Bühne als auch im Publikum wieder. Die SchülerInnen – aus konzertpädagogischer Perspektive – deshalb auch als AdressatInnen der Musikdarbietungen mitzudenken, halte ich für zwingend notwendig. Spannend ist folglich die Frage, wie es gelingen kann, im Rahmen von (Musikschul-)Veranstaltungen allen Anwesenden verführerische Einladungen zum Musikhören zu schenken.

Live-Musikerlebnis als Teamwork

Zunächst möchte ich mit den folgenden drei Thesen die Konzertsituation als ein „Zusammenspiel“ von Musizierenden und Zuhörenden beleuchten.

Musik ist eine Kunst des Augenblicks
Solange die Musizierenden Klänge produzieren, ist die Musik hörbar. Kaum ist aber der letzte Ton im Raum verklungen, ist auch das musikalische Kunstwerk wieder verflogen. Bei einer gelungenen Darbietung kann die Musik zwar noch eine Weile im Innern der ZuhörerInnen weiterschwingen. Ihre Kraft als künstlerisches Ausdrucksmittel entfaltet die Musik jedoch erst im Moment der Darbietung – und zwar sowohl für die Musizierenden wie auch für die Zuhörenden. In diesem resonierenden Verhältnis aller in einem Konzertraum anwesenden Personen wird Musik besonders intensiv erfahrbar.

Musik live hören und Musizieren sind Glückserfahrungen
„Jedes Musizieren fasziniert Spieler und Hörer [nicht nur, aber auch] durch die Möglichkeit des Nicht-Gelingens. Der Ernstfall des Auftritts ist jeweils einmalig, hier und jetzt kommt es darauf an, dass es glückt. Bereits das Gefühl der durch sachkundiges Üben erworbenen Sicherheit bedeutet ein Glücksgefühl, sodann aber auch die Genugtuung, die Herausforderung des Musizierens vor anderen gemeistert zu haben.“1 Wenn SchülerInnen nach einem gelungenen Auftritt die Bewunderung und Wertschätzung des Publikums spüren, steigert das enorm ihr Selbstwertgefühl und die Motivation zum Musizieren.2 Daraus entsteht Rückenwind, der die SchülerInnen mit viel positiver Energie durch die nächsten Unterrichtswochen tragen kann.

Musik ist Kommunikations- und ­Ausdrucksmittel
Musik braucht beide Seiten – SpielerInnen und HörerInnen –, um einen „Energieaustausch“ zu ermöglichen. Dieser Gedanke ist auch im Strukturplan des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) verankert, wenn es heißt: „Die Auftrittserfahrung ist außerdem eine wesentliche Dimension des Musikerlebnisses, wendet sich Musik doch als künstlerische Kommunikation an ein Publikum.“3 Vor diesem Hintergrund dürfte die Angst von SchülerInnen, im Konzert Fehler zu machen, immens an Kraft verlieren. Denn das Wichtigste jeglicher Kommunikation ist ja nicht der grammatikalisch richtige Satzbau (Perfektion kann zuweilen sogar langweilen), sondern der Inhalt und persönliche Ausdruck im Vortrag. Das aufmerksame Publikum wiederum ist als Empfänger der musikalischen Darbietung ein unverzichtbarer Partner in der Konzertsituation.4 Besonders deutlich spürbar wird dies für musizierende SchülerInnen beispielsweise, wenn sie nach ihrem Vortrag noch einen Moment innehalten und die gespannte Stille im Raum genießen, bevor sie ihr Instrument absetzen und körpersprachlich loslassen – und sodann das Publikum Applaus spendet.

Wie sich solche Ohren öffnenden, in Gemeinschaft erlebten, musikalisch-kommunikativen und glücksfördernden Augenblicke in der Musikschularbeit kreieren lassen, deute ich mit der folgenden Ideensammlung an.

Verführerische ­Einladungen zum Hören

SchülerInnen, die an einem gewöhnlichen Schülerkonzert teilnehmen, sind meist nur wenige Minuten als ausführende, also aktive MusikerInnen auf der Bühne und erleben den Großteil einer Veranstaltung als ZuhörerInnen. Schülerkonzerte können daher nicht nur als Auftrittstraining dienen, sondern ebenso eine Einladung an die SchülerInnen sein, einerseits die Freude am Hören von live dargebotener Musik zu wecken, sodass sie (ihr Leben lang) gerne Konzerte besuchen, und andererseits rezeptive Fähigkeiten zu entwickeln und zu trainieren. Aber wie kann es gelingen, SchülerInnen nicht nur eine angenehme und erfüllende Auftrittssituation zu ermöglichen, sondern ihnen und allen KonzertbesucherInnen auch lustvolle Zuhörmomente zu schenken? Aus den folgenden vier Perspektiven lassen sich Ideen entwickeln.

1 Mahlert, Ulrich: Wege zum Musizieren. Methoden im Instrumental- und Vokalunterricht, Mainz 2011, S. 264.
2 Ein Konzertprojekt mit besonders wertschätzenden Augenblicken für die SchülerInnen stelle ich vor in: ­Nastoll, Corina: „Die Herzen berühren. Gestaltung von Schülervorspielen in pandemischen Zeiten“, in: üben & musizieren, 4, 2022, S. 24-26.
3 Verband deutscher Musikschulen: Strukturplan des VdM. Der Weg zur Musik durch die Musikschule, Bonn 2010, S. 12.
4 vgl. Mahlert, Wege zum Musizieren, S. 264.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2022.