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Schatka, Christian / Tobias Bergener

Kreativ gestalten

Digitale Medien in der Elementaren Musikpädagogik

Rubrik: Digital
erschienen in: üben & musizieren 6/2022 , Seite 36

Wie lassen sich digitale Medien in die Elementare Musikpädagogik integrieren? Die im Folgenden genannten Apps werden von uns seit Jahren in Musikgruppen und Fortbildungen eingesetzt. Im Fokus steht die Frage, wie sie sich in Bezug auf Klang, Rhythmus und Bewegung, aber auch im spielerischen Sinne mit elementarmusikpädagogischen Grundprinzipien in Einklang bringen lassen und Kleinkinder im Erlangen ihrer Medienkompetenz unterstützen bzw. sinnvoll begleiten können. Vorab sei betont, dass sich mit dem Einsatz von Apps durchaus sinnvolle Bildschirmzeit generieren lässt, die sich vom oft kritisierten reinen Medienkonsum deutlich unterscheidet.

Wir unterscheiden zwischen dem Einsatz von Apps zum aktiven, kreativen Gestalten von Musik (z. B. digitales Erzeugen von Tönen und Klängen mit virtuellen Instrumenten) und dem Einsatz von Apps zur Verwendung vorgefertigter Rhythmen (Grooves) und Sounds, die in der Regel als Loops, als sich in einer Schleife wieder­holende Rhythmus- oder Melodiepatterns abspielbar sind. Ein Qualitätsmerkmal für eine gelungene Musik-App ist die Bedienungsfreundlichkeit, gepaart mit einem schlichten, funktionalen Design und authentischen Sounds. Gesteuert werden die Apps meist über den Touchscreen, der ein intuitives und kinderleichtes Bedienen ermöglicht, das latenzfrei funktioniert, sodass Klangauslösung (Berühren des Bildschirms) und Wahrnehmung des erzeugten Tons simultan (verzögerungsfrei) erfolgen. Für den Gruppenunterricht lassen sich Steuergeräte wie MIDI-Keyboards oder Touch-Pads anschließen, damit mehrere Personen zusammen an einem Gerät spielen können.

Intuition

Viele Apps sind in ihrer Usability so stark, dass sie nicht nur von Erwachsenen, sondern gerade auch von Kleinkindern extrem intuitiv und leicht zu bedienen sind. Dadurch können Kinder quasi ad hoc und ­ohne Übung kreativ sein und sich sofort am musikalischen Geschehen beteiligen. Durch das intuitive Spiel, das keiner musikalischen Vorkenntnisse bedarf und keine besonderen motorischen Fähigkeiten voraussetzt, stellen Musik-Apps für das Musizieren mit kleinen Kindern und nicht zuletzt in inklusiven Arbeitsfeldern sinnvolle Ergänzungen dar. Inklusive Angebote können durch den Einsatz digitaler Medien profitieren, indem „Barrieren“ durch die in den Apps voreinstellbaren Parameter nivelliert werden – Parameter, die sich auf herkömmlichen Instrumenten nicht so leicht verändern lassen. Auf diese Weise kann Ausgrenzung vermieden werden und der Fokus beim Musizieren liegt mehr auf dem gemeinsamen Tun, bei dem alle Beteiligten ihre Stärken einbringen können.
Die intuitive Bedienbarkeit kommt durch Reduzierung der Herausforderung und Abbau von Hürden der Experimentierfreude von Kindern entgegen. Darüber hinaus hat schon alleine der Bildschirm, auf dem etwas passiert, bekannterweise eine hohe An­ziehungskraft auf Kinder. Dieses Phänomen hat leider oft negative Auswirkungen, da Kinder im digitalen Zeitalter generell zu viel Zeit vor einem Bildschirm verbringen. Bei einem gezielten Einsatz von Musik-Apps werden Kinder aber nicht digital berieselt, sondern aktiv in das musikalische Geschehen eingebunden. Durch Drücken verschiedener Buttons, virtueller Tasten, Saiten oder Pads können sie experimentieren und den gestalterischen Prozess beeinflussen bzw. mitgestalten.
Die Art und Weise lässt sich nicht vergleichen mit der Spielweise und Haptik eines „echten“ Instruments wie Violine oder Klavier. Das muss es in diesem Fall aber auch gar nicht. Vielmehr geht es darum, die Kinder experimentierfreudig in eine musikalische Handlung einzubinden, bei der sie selbst die unterschiedlichen Wirkungen ihrer Klänge, Geräusche und Beats erkunden. Durch entsprechende Moderation der Lehrkraft lassen sich so eine Vielzahl von Fragestellungen bearbeiten: Welche Wirkung entfaltet dieser oder jener Ton? Welchen Effekt hat eine größere Tondichte? Was passiert, wenn man Pausen einbaut? Welchen Effekt erzeugt ein dynamisches Spiel? Kinder werden so von passiven Konsumenten zu aktiven Kreativen und spielerisch beim Erlangen von Medienkompetenz unterstützt.

Experimentieren

Eine der bekanntesten Apps, die das grundlegende Band-Instrumentarium zum kreativen Experimentieren anbietet, ist GarageBand (iOS). Dort lassen sich unter anderem – je nach Einstellung – Akkorde oder Töne über eine abgebildete Klaviatur oder über abgebildete Saiten verschiedener Saiteninstrumente sowie Drumsounds über Pads bzw. virtuell erscheinende Drumsets mit den Fingern auf dem Touch-Screen erzeugen.
Während sich auch in GarageBand Tonart und Tonskala einstellen lassen, ist dies noch übersichtlicher in ThumbJam möglich, da dort die Töne einer gewählten Skala mit farblich abgesetzten Streifen angezeigt werden und so eine Art Tastatur bilden. Darüber hinaus kann man die Anzahl der dargebotenen Oktaven einstellen und aus einer beeindruckend breiten Palette von Instrumentensounds wählen.
Auf diese Weise kann das Tablet beispielsweise mit der zur Tonart des jeweiligen Liedes passenden Pentatonik zum Solo­instrument für Kinder werden, die sich zunächst auch ohne musikalische Vorbildung beim Musizieren als Teil des Arrangements erleben und erste Erfahrungen sammeln können. Das Prinzip von Ursache und Wirkung lässt sich als bedeutender Motivationsfaktor einsetzen und ermöglicht den Kindern die Erzeugung einer klanglichen Vielfalt, die sie auf herkömmlichen Instrumenten zunächst nicht so leicht umsetzen könnten. Natürlich gibt es unzählige weitere Apps, die einzelne Instrumente abbilden wie etwa eine Hangdrum oder eine Ukulele. Wenn ein spezieller Sound gewünscht ist, kann man im App-Store auf ein breites Spektrum zugreifen und das ­Instrument digital-musizierend kennenlernen, ohne schweres Gepäck mit sich herumtragen zu müssen.
Weitere Experimentiermöglichkeiten mit Apps ergeben sich auch auf der Ebene harmonischer und rhythmischer Zusammenhänge in Loops. So können Kinder mit der App Launchpad Klangteppiche per Knopfdruck aufbauen und mit Effekten wie Hall und anderen DJ-Tools verändern. Rhythmus, Tempo und andere Parameter lassen sich voreinstellen. Bei einigen Apps besteht zudem die Möglichkeit, komplexere Harmoniefolgen im diatonischen Kontext zum Zweck von Liedbegleitungen zu erzeugen, ohne in Gitarrengriffen oder Akkordtheorie geschult zu sein. Dazu reicht ein Finger aus. Die Apps Audanika oder Soundprism bieten hier eine beeindruckende Performance.
Die App drumJam beispielsweise erlaubt es außerdem, durch Aufnehmen von Geräuschen (Sampling) eigene Loops zu erzeugen und in der App miteinander zu verbinden. So können die Kinder aus der Rhythmus-Library einen beliebigen Groove als wiederkehrendes rhythmisch-melodisches Element in einem frei wählbaren Tempo auswählen und abspielen. In drumJam können sie aus der gesamten Palette der perkussiven Instrumente auswählen, Tempo, Lautstärke und Groove variieren und auf verschiedenste rhythmische Vorlagen zurückgreifen (westliche Musik, orientalische Musik, Weltmusik, Balkan Beats und vieles mehr). Insbesondere für die Liedgestaltung bieten sich hier vielfältige Möglichkeiten. So ist etwa die Erstellung eines „kreativen“ Metronoms ebenso möglich wie eine Drumline für einen Sprechgesang. Nicht zuletzt bieten die Apps damit auch pädagogischem Personal ohne professionelle musikalische Expertise die Möglichkeit, Lieder mit den Kindern zu üben und zu begleiten.

Spielerisch Lernen

Mit den Möglichkeiten unterschiedlicher grafischer Elemente bieten Musik-Apps neben einer sehr auffordernden Ästhetik großes Potenzial zur spielerischen Ausgestaltung musikalischer Inhalte. So ermöglicht die App Remixlive, Farben mit rhythmischen Klangbausteinen zu kombinieren. Jeder Farbgruppe ist eine Soundgruppe zugeordnet. Je nachdem, welche Farben man wählt, ertönen Drumsounds oder Bässe und Synthesizer und die Kinder lernen neben den Farben auch die Benennung, Unterscheidung und Zuordnung von Klängen in Kategorien.
Beatboxen lässt sich wiederum durch die App Incredibox sehr anschaulich darstellen. Dort sollen die Kinder eine Reihe von Figuren mit Kleidung und damit kombiniert mit Beatboxsounds ausstatten, woraus sich eine große klangliche Vielfalt ergibt. Damit der Fokus nicht auf dem visuellen Element bleibt, bietet es sich an, die Figuren im Anschluss nachzuahmen.
Einen besonders spielerischen Ansatz bietet die App Bebot. Ein singender Roboter reagiert auf die Fingerbewegung auf dem Display. Beim Streichen nach oben werden die Töne höher und der Roboter bewegt seinen Körper nach hinten. Beim Runterstreichen beugt er sich nach vorn und die Töne werden tiefer. Dies regt die Kinder zum Nachahmen an und thematisiert anschaulich die Gegensätze von tiefen und hohen Tönen. Denkbar ist die Umsetzung nach dem dirigentischen Prinzip: Ein Kind bedient die App, die anderen singen die Töne und bewegen den Körper entsprechend des Avatars. Sowohl Bewegung als auch Klang als wichtige Bausteine und Prinzipien der Elementaren Musikpädagogik können in Übungen mit der App aufgegriffen werden.
Nicht zuletzt sei noch die App Singing Fingers erwähnt. Hier kann man mit dem Finger bunte Spuren auf den Bildschirm zeichnen. Wenn man dabei eine Melodie oder ein Lied singt, wird dies aufgezeichnet. Beim erneuten Streichen über die gezeichnete Linie in gleicher Richtung ertönt die Aufnahme, beim entgegengesetzten Streichen wird die Aufnahme rückwärts abgespielt.
Dieses einfache Prinzip bietet unzählige Übungsmöglichkeiten zu relevanten Themen der Elementaren Musikpädagogik wie Tonleitern, Melodieführung etc. Auch im Kontext der Sprachförderung lässt sich die App einsetzen, denn in Verbindung mit dem Einsatz eines Mikrofons werden oftmals auch zurückhaltende Kinder zum Sprechen animiert. In der praktischen Arbeit mit Kleinkindern haben wir oft erlebt, wie motivierend Apps als spielerischer Sprechanlass sein können.

Chancen und Grenzen

BefürworterInnen moderner Technologien und VertreterInnen konservativer Wege finden beide berechtigte Argumente, um ihren Standpunkt zu vertreten. Aus unserer Sicht sind die Perspektiven jedoch nicht gegeneinander auszuspielen. Vielmehr liegt ein großer Mehrwert in der Ergänzung dieser manchmal konträr wirkenden Herangehensweisen für die Musizierpraxis. Der authentische Klang eines akustischen Instruments, das Spielgefühl und die Haptik von Instrumenten mit der Beschaffenheit ihrer Materialien, das Entdecken körpereigener Klänge, Musizieren ohne Abhängigkeit von Strom und Technik: All das und vieles mehr können digitale Klangerzeuger nicht bieten. Sie können jedoch Anreiz, Katalysator und Hilfsinstrument sein und vielleicht den Kreis der Personen für musikalische Bildungsangebote auf Gruppen erweitern, die in einem weniger musikalisch geprägten sozialen Umfeld aufwachsen.
Mit dem Einsatz von Apps können und sollen bewährte Methoden der Elementaren Musikpädagogik und der Einsatz von Instrumenten nicht ersetzt oder deren Berechtigung in Frage gestellt werden. Sie bieten im Gegenteil oft für sich oder in der Kombination neue Möglichkeiten. So sollten etwa körperbezogene Elemente der Elementaren Musikpädagogik wie Bodypercussion und Klatschrhythmen mitnichten ersetzt, sondern mit Hilfe von Klangteppichen oder groovenden Loops auf einer weiteren Ebene erfahren werden. Der animierende Beat eines Drum ’n’ Base-Loops kann als Met­ronom oder zur Ergänzung körpereigener Klänge mit futuristischen Sounds dienen.

Fazit

So bunt wie die Gesellschaft, so bunt ist auch die mediale Vielfalt, die uns heutzutage im Alltag begegnet. Die Kombination von digitalen Medien mit analogen Instrumenten oder dem eigenen Körper als Klanggenerator bietet vielfältige Möglichkeiten und unterstreicht das Bild einer zeitgemäßen, divers geprägten Gesellschaft, ohne traditionelle Ansätze ersetzen zu wollen. Diese Kombination kann unserer Meinung nach die Lust auf Musik wecken, inklusive Angebote und Förderung ermöglichen und schließlich qualitativ hochwertige und dosierte Mediennutzung statt Medienkonsum vermitteln. Mit entsprechenden Tipps von Lehrkräften der Elementaren Musikpädagogik zum zielgerichteten Medieneinsatz im Musizierkontext können Eltern zudem unterstützt werden, ein besseres digitales Vorbild zu werden, denn es wird zunehmend schwieriger, sich im Angebotsdschungel der digitalen Vielfalt zurechtzufinden.
Zu guter Letzt soll diese Herangehensweise auch die Hemmung vor der Nutzung neuer Techniken nehmen und dazu einladen, auszuprobieren und zu forschen, um neue kreative Gestaltungsmöglichkeiten zu entdecken und zu nutzen. Blicken wir neugierig und gespannt in eine intermediale Zukunft, ganz nach den Prinzipien der Elementaren Musikpädagogik: mit Experimentierfreude, Kreativität und Offenheit und dem alle Ansätze verbindenden Element des gemeinsamen Musizierens.

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