Bickelhaupt, Agnes

Haltung zeigen

Das ALMS-Symposium „Artistic Citizenship” in Freiburg diskutierte die gesellschaftliche Relevanz von Musikpädagogik

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2022 , Seite 49

„Im Angesicht von Krieg, Pandemie und tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandlungsprozessen wird von den Künsten immer stärker eine Haltung gefordert, die das eigene Tun mit einer gesellschaftspolitischen Perspek­tive in Verbindung bringen kann“, schreibt Wolfgang Lessing im Programmheft des Symposiums „Artistic Citizenship“, das anlässlich des 50-jährigen Bestehens der ALMS (Arbeitsgemeinschaft der Leitenden musikpädagogischer Studiengänge) im September 2022 an der Musikhochschule Freiburg stattfand. „Citizenship“ bezeichnet die Annahme, dass Demokratie aktiv durch die einzelnen Mitglieder einer Gesellschaft hergestellt werden muss. Demzufolge wird „citizen“ nicht nur im Sinne von StaatsbürgerIn verstanden, sondern als Mitglied sozialer Gefüge unterschiedlicher Art.
Den Schlüssel zur Herstellung einer solchen demokratischen Gesellschaft sieht der amerikanische Philosoph John Dewey in der Pädagogik: Schule solle das antizipieren, was Gesellschaft werden sollte.1 Und bezogen auf Musikpädagogik formuliert David Elliott den Wunsch, eine gesellschaftliche Perspektive als Zieldimension musikpädagogischen Handelns bewusst in den Blick zu nehmen. Es gehe zusätzlich zu der Frage, was und wie wir unterrichten, immer mehr um die Frage nach dem Warum.2
In seiner Keynote begründete Wolfgang Rüdiger die gesellschaftliche bzw. soziale Relevanz von Musik aus anthropologischer Perspektive. Durch das menschliche Grundbedürfnis nach emotionaler Verbundenheit im Erleben von Musik sei jede musikalische Äußerung künstlerische und soziale Äußerung zugleich. Eindrücklich spürbar wurde diese Verbindung musikalisch-ästhetischer und sozialer Dynamiken in einer Improvisation, die Corinna Eickmeier im Rahmen ihres Vortrags zum Thema „Musikpädagogik und künstlerische Forschung“ mit allen Teilnehmenden im Foyer der Hochschule anleitete. Auch Performances von Studierenden aus Trossingen und Freiburg sowie aus dem diesjährigen hochschulübergreifenden Seminar Musikpädagogik trugen dazu bei, dass die ästhetische Dimension der Kongressthematik Raum hatte. In Beiträgen von Dierk Zaiser sowie Renate Reitinger und Daniel Valeske, die auf Erfahrungen in Projekten mit Jugendlichen im Jugendstrafvollzug bzw. wohnungslosen Jugendlichen beruhen, wurde deutlich, wie vielschichtig die Fragen sind, die sich aus dem Ringen mit Machtstrukturen ergeben: Wie kann eine gelungene Reflexion und Umgang mit Hierarchien aussehen, in dem Wissen, dass es keine machtfreien Räume gibt?

1 Dewey, John: Democracy and Education, with a Critical Introduction by Patricia H. Hinchey, Myers Education Press, Gorham/Maine 1916/2018, S. 22-26.
2 Elliott, David: „Music Education as/for Artistic Citizenship“, in: Music Educators Journal, 2012, 99, S. 21-27.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2022.