de Falla, Manuel

Homenaje a Debussy

für Gitarre, Urtext, hg. von Johannes Klier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2021
erschienen in: üben & musizieren 6/2022 , Seite 62

Um es gleich am Anfang zu sagen: Diese Ausgabe gibt einen perfekten Abdruck der ersten handschriftlichen Fassung, die der Komponist im Jahr 1920 angefertigt hat. Allerdings stellte diese nur den Ausgangspunkt dar, der durch die Konsultation mit dem befreundeten Gitarristen Miguel Llobet in verschiedenen Schritten bis hin zur autorisierten Endfassung weiterentwickelt wurde.
Der erste Schritt bestand darin, dass Llobet eine minutiöse Abschrift anfertigte. In der nächsten Entwicklungsstufe versah er den Urtext mit seinen Fingersätzen und einigen instrumentenspezifischen Effekten wie Glissandi und Flageolette, die sich nicht im Original finden lassen. Geschah dies aus persönlicher Willkür des Interpreten? Darauf gibt es ein klares Nein, da der Komponist den Interpreten eindeutig darum gebeten hat, entsprechende Angaben zu ergänzen! De Falla selbst gibt an, dass er, „wenn er selber das Instrument (Gitarre) spielen würde, er es anders gemacht hätte“. Er bittet Llobet darum, ihm „alles anzugeben, was Dir geeignet erscheint, in der Gewissheit, dass ich dafür sehr dankbar bin und es für mich von größtem Nutzen ist“.
Das klingende Ergebnis dieser freundschaftlichen Zusammenarbeit bewertete der Komponist unmissverständlich: „Es ist bewundernswert, die Art wie er (Llobet) meine drei kleinen Werke […] spielt […] Wunderbar!“ Es besteht also überhaupt kein Zweifel daran, dass de Falla mit der Ausgabe und der Interpretation von Miguel Llobet mehr als einverstanden war.
Der Herausgeber begründet seine Neuausgabe als Reaktion auf „eine Geschichte von Missverständnissen, Fehlinterpretationen und Manipulationen des Notentextes“. Die „Manipulationen“ beziehen sich vermutlich auf die Differenzen zum ursprünglichen Manuskript des Komponisten. „Erst vor wenigen Jahren wurde das handschriftliche Autograf im Archivo Manuel de Falla in Granada entdeckt. So kann erst jetzt die wahre Geschichte von Fallas Homenaje a Debussy erzählt werden.“
Bereits 2016 hat es eine Ausgabe gegeben, die das handschriftliche Autograf zur Grundlage einer wissenschaftlichen Ausgabe hatte. Im selben Jahr erschien ein umfangreicher Aufsatz von Javier Suárez-Pajares, der bis ins kleinste Detail „die wahre Geschichte von Manuel de Fallas Homenaje a Debussy“ ausgebreitet hat. Und 2020 erschien eine Ausgabe, in der alle Manuskripte sowie alle Ausgaben und zusätzlich Faksimiles der gesamten relevanten Korrespondenz zwischen Falla und Llobet enthalten sind.
Der Herausgeber stellt das Werk sozusagen zurück auf Werkseinstellung und postuliert den Ausgangspunkt zum Endpunkt. Die klangliche Identität auf der Gitarre, die der Komponist gesucht und gemeinsam mit dem Gitarristen seines Vertrauens geschaffen hat und von dessen Ergebnis er überzeugt war, diesem Endergebnis spricht der Herausgeber die Existenzberechtigung schlichtweg ab. Das hinterlässt einen irritierten Rezensenten.
Andreas Stevens-Geenen