Unseld, Melanie

Musikgeschichte ­„Klassik“

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2022
erschienen in: üben & musizieren 1/2023 , Seite 60

Informativ und unterhaltsam, fast im Plauderton geschrieben, kommt Melanie Unselds Band Musikgeschichte „Klassik“ daher. Unseld, Professorin für Historische Musikwissenschaft an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, schüttelt mit verbaler Leichtigkeit Informationen aus ihrem gut bestückten wissenschaftlichen Füllhorn, bleibt immer verständlich und führt exemplarische Beispiele zum jeweiligen Thema an.
Trotz der angenehmen Leichtigkeit strotzt das Buch vor Fakten und Informationen, meidet aber so weit wie möglich die im Feuilleton breitgetretenen Binsenweisheiten. So kommt man in den Genuss einer knappen musikwissenschaftlichen Analyse der Marseillaise (sowie der Geschichte ihrer Entstehung und Verbreitung), denn diese Hymne ist eng verflochten mit der Zeit von 1750 bis 1830, die Unseld sich hier vornimmt. „Musik, Gesellschaft, Politik“ heißt folgerichtig das Unterkapitel, das dieses musikalische Beispiel aufgreift. In charmantem Schreibstil wird man eingeführt in die politischen und historischen Ereignisse dieser Zeitspanne, denn Musik und Gesellschaft stehen in stetem Bezug, betont Unseld.
Selbstverständlich fehlt in den sorgsam ausgewählten Beispielen auch Beethoven nicht. Unseld zeichnet die Bedingungen der Uraufführung seiner fünften Sinfonie 1808 in Wien recht farbig, auch durch Zitieren von Johann Friedrich Reichardts bekanntem Bericht: „dass man auch des Guten – und mehr noch, des Starken – leicht zu viel haben kann.“ Immerhin dauerte das Konzert im bitterkalten Vorstadttheater insgesamt mehr als vier Stunden.
Innovationen im Instrumentenbau und deren Auswirkungen auf KomponistInnen und MusikerInnen werden angeführt. Einige heute vergessene damalige musikalische Errungenschaften, man denke an die Glasharmonika, kommen lebendig daher.
Da es „noch keine reglementierte Konzertkultur mit dem Konzertsaal als primärem Aufführungsort“ gab, ertönte konzertante Musik unter anderem auf der Straße, im Garten, in der Kirche oder im Haus – und deshalb gab es Gattungen für jeden vorstellbaren Konzertort. Die Lebenswirklichkeiten der MusikerInnen und KomponistInnen werden skizziert, die noch nicht ins­titutionalisierte Musikerausbildung wird kurz dargestellt. Unseld kümmert sich rundum um diese Epoche, die sie oft mit dem Terminus „Sattelzeit“, stark vereinfacht meint dies eine Übergangszeit, benennt.
Das Buch enthält einige schwarz-weiße Abbildungen. Der Anhang bietet unter anderem ein längeres Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister. Immer wieder zeigt Melanie Unseld das Wechselspiel von Gesellschaft und Musik, das Einwirken von Aufklärung oder Französischer Revolution auf diese Epoche auf. Denn Unseld sieht „Musik als einen Teil des gesellschaftlich- kulturellen Lebens“ – und genau so vermittelt sie in diesem sehr lesenswerten Buch mit viel Sachkenntnis die Musik der Klassik.
Heike Eickhoff