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Berg, Ivo I.

Einfach komplex

Steve Reichs „Clapping Music“ im Musizierunterricht

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 2/2023 , Seite 26

„Clapping Music“ ist ein Klassiker der Minimal Music und erfreut sich seit seiner Entstehung Anfang der 1970er ungebrochener Beliebtheit – nicht zuletzt in der Musikpädagogik. Doch wie lässt sich das Stück mit SchülerInnen erarbeiten? Und welche Potenziale kann es dabei entfalten? Der folgende Beitrag trägt einige methodische Anregungen zusammen.

Sucht man auf YouTube nach Clapping Music, stößt man auf eine große Bandbreite unterschiedlichster Einspielungen. Sie zeugen von der großen Verbreitung der Komposition und zeigen in den kreativen Varianten, Visua­lisierungen und Adaptionen – zwischen streng asketischer Ausführung, gestisch-kommunikativem Arrangement und grooviger Funkversion – das erstaunliche musikalische Potenzial des Stücks.
Gemeinsamer Nenner all dieser Versionen ist die unmittelbare Zugänglichkeit, die eine ­wesentliche Faszination von Clapping Music ausmacht: nur ein einziger sich wiederholender Rhythmus, gebaut aus Achtelimpulsen und Achtelpausen in einem Taktrahmen von zwölf Achteln; für lediglich zwei Ausführende geschrieben, die sich eines der elementarsten Mittel der Klangerzeugung (Klatschen) bedienen; und schließlich ein einziges kompositorisches Prinzip: Eine Stimme verschiebt nach dem Unisono-Beginn den Rhythmus um ein Achtel, während die andere Stimme im Grundrhythmus verharrt, sodass nach zwölf Verschiebungen beide Stimmen wieder im Unisono einrasten können.

Aus diesem vordergründig einfachen Setting heraus entfaltet das Stück eine ungemeine Sogwirkung und fördert eine Vielfalt an groovenden Konstellationen zutage: indem die Stimmen nach dem Verschieben immer wieder neu ineinandergreifen, indem sich die Zweier- und Dreiergruppen mal überlappen, mal sich in den Pausen wechselseitige Im­pulse geben, mal überraschend gemeinsame Pausen vollziehen oder sich gar – so in der zweiten, siebten und zwölften Verschiebung – zu einem durchgehenden, aber unwillkürlich binnenbetonten Achtelkontinuum ergänzen.

Stilistische ­Eigenschaften

Interessanterweise bildet Clapping Music trotz seines rationalen Prinzips den Abschluss und nicht etwa den Anfang von Reichs Beschäftigung mit der Kompositionsweise des „Phase shifting“.1 Im ebenfalls sehr bekannten, aber früheren Stück Piano Phase wird die Verschiebung über eine allmähliche Beschleunigung des Tempos erreicht. Somit ist hier die Identität beider Parteien wesentlich länger hörbar – bei Clapping Music hingegen ist es nur mit einiger Übung möglich, den „strengen Kanon“ (Reich) durchzuhören.2 Eine gewisse Orientierungslosigkeit, ein Spiel ohne festen Boden unter den Füßen ist dem Stück also eingeschrieben, oder wie Reich es selbst formuliert: „What if there’s a power failure in a gig, what if everything goes off? And that was it: […] I got the inspiration to write Clapping music.“3 Die Anforderungen sind dabei an beide Aufführende gleichermaßen hoch: Denn sowohl beim Verschieben als auch beim Verharren ringt man zunächst um Halt und muss gleichsam gegen die Versuchung der gemeinsamen Synchronizität ankämpfen.
Reich selbst führt die Idee zu Clapping Music auf die Begegnung mit der Musik des Flamenco zurück.4 Bekanntlich kommt hier neben Gesang, Gitarre und Tanz dem begleitenden Klatschen eine tragende Rolle zu. Verwandte Elemente sind dabei die Organisa­tion in zwölf Impulsen sowie das Prinzip des ineinandergreifenden Klatschens zweier SpielerInnen – wobei beim Flamenco zusätzlich unterschiedliche Akzente durch Varianten im Klang des Klatschens differenziert werden. Als weiterer Einfluss auf Clapping Music wird die Musik aus Ländern südlich der Sahara genannt.5 Auch hier liegt ein Organisationsprinzip in der Verwendung ostinater Rhythmusmodelle – sogenannter „Time-line-Formeln“ –, die in einer ihrer Grundformen ebenfalls den Umfang von zwölf Impulsen aufweisen.6 Und auch hier kommt es auf polyrhythmisches und polymetrisches Zusammenspiel an, bis hin zur Technik der „inherent patterns“ (Gerhard Kubik), bei der aus dem Ineinandergreifen zweier Rhythmen eine latente dritte und vierte Stimme entsteht. Der Grundrhythmus von Clapping Music schließlich ist bis auf das zweite Achtel identisch mit einer der bekanntesten „Time-lines“, der Omele-Formel der Yoruba.7

1 vgl. Reich, Steve: Writings on Music. 1965-2000, New York 2002, S. 68.
2 „How I Wrote… Clapping Music“. Interview mit Steve Reich unter www.classicfm.com/artists/steve-reich/guides/clapping-music-steve-reich (Stand: 23.2.2023).
3 ebd.
4 ebd.
5 Hierzu und zur Frage der Aneignung von Elementen anderer Musikkulturen im Werk Steve Reichs vgl. Götte, Uli: Minimal Music. Geschichte – Ästhetik – Umfeld, Wilhelmshaven 2000, S. 79-83.
6 vgl. hierzu Kubik, Gerhard/Simon, Artur: Artikel „Afrika südlich der Sahara“ → Systematischer Teil → Rhythmus und motionale Grundlagen, in: MGG Online, www.mgg-online.com/mgg/stable/466141 (Stand: 23.2.2023).
7 ebd.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2023.