© Klaus Polkowski

Rothermel, Elena

Zwischen Mitlachen und Rechtfertigen

Umgang mit Klischees zum Studiengang Elementare Musikpädagogik mit Hauptfach Blockflöte

Rubrik: Hochschule
erschienen in: üben & musizieren 2/2023 , Seite 54

Imitation, Kopie, Abklatsch, eingefahrene und überkommene Vorstellung, Stereotyp: Diese und weitere Duden-Synonyme zum Begriff „Klischee“ wirken zunächst recht theoretisch. Klischees können jedoch Emotionen auslösen, von „unterhaltend“ bis zu „bedrückend“. Der letzteren Kategorie entgegen­zuwirken, war mein Ziel bei der Beschäftigung mit immer wiederkehrenden Klischees zum Studien­gang Elementare Musikpädagogik mit Hauptfach Blockflöte.

Meine Vorgehensweise verlief nach folgenden Fragen: Welche Klischees kursieren? Wel­che Nährböden haben diese Klischees und wie kann ich letztlich damit umgehen? Als Top 3 der Floskeln über die Blockflöte kristallisierten sich über die Zeit folgende heraus: „Ach, das kann man studieren?“, „Cool, Blockflöte spielen kann ich auch – das habe ich in der Grundschule gelernt“ und zu guter Letzt „Und was spielst du sonst noch?“, also die Frage nach einem „richtigen“ Instrument. Im Bereich des eigenen Unterrichtens spiegelt sich die letzte Aussage ebenfalls ­wider, wenn SchülerInnen nach etwa zwei Jahren mit dem Unterricht aufhören, um ein „richtiges“ Instrument zu lernen. Auch die Presse trägt zu solchen Blockflötenklischees bei mit Artikeln wie z. B. „Die Blockflöte als Folter­instrument“ im Tagesspiegel kurz vor Weihnachten 2020.1
In der Elementaren Musikpädagogik begegne ich in erster Linie dem Klischee der Gleichsetzung mit Musikalischer Früherziehung. Juliane Ribke führt diesen Aspekt fort, indem sie von einer Funktionalisierung spricht.2 Elementare Musikpädagogik diene demnach der Vorbereitung auf den Instrumentalunterricht, wobei erste Erfahrungen im Bereich Motorik, Gestaltung, Sozialkompetenz und Notenlesen gesammelt werden sollen. Konkretisiere ich die Suche nach EMP-Klischees auf das Studium und damit den Kontext Musikhochschule, findet sich schnell jenes des künstlerischen Defizits: Studierende der Elementaren Musikpädagogik säßen zwischen den Stühlen von Pädagogik und Instrument und hätten in der Regel nicht ausreichend Zeit für das instrumentale Üben. Durch die Separation von EMP und instrumentalem Hauptfach fällt unter den Tisch, dass sich die vielfältigen Angebote im EMP-Studium gegenseitig bereichern und dieses differenzierte Üben eine transdisziplinäre Musikerfahrung ermöglicht. Der Instrumentalunterricht ist wesentlicher Teil dieser künstlerischen Symbiose.

Klischees den ­Nährboden entziehen

Klischees wie diese gibt es nicht erst seit gestern – und es wird sie auch morgen noch geben, denn Nährböden dafür existieren zahlreiche. Bei den Blockflötenklischees sind es häufig die Eltern und Erwachsenen, die großen Einfluss auf die Wahrnehmung des Instruments und des Unterrichts haben. Als Blockflöte für den Unterrichtseinstieg ihrer Kinder dienen dann Flohmarktinstrumente oder eine Flöte aus dem Discounter um die Ecke. Ein authentisches Klangbild einer Blockflöte können diese Instrumente jedoch in der Regel nicht vermitteln.
Auch bei der Wahl der Lehrperson liegt die Entscheidung bei den Erwachsenen: Möchte ich Unterricht für mich bzw. für mein Kind von einer Person, die ein musikalisch-klangliches Vorbild sein kann, oder reichen basale Kenntnisse aus? Die Antwort dieser Entscheidungsfrage ist für das Thema „Anerkennung der Blockflöte als richtiges Instrument“ von großer Bedeutung, schließlich ist das Blockflötenspiel der Lehrperson prägend für die Meinungsbildung der SchülerInnen. Aber auch jenseits des Unterrichtens ist die Präsenz von MusikerInnen mit Idol-Funktion von großer Bedeutung. Hier mangelt es an KünstlerInnen der EMP und der Blockflöte, die die Kunst des jeweiligen Fachs nach außen tragen und zugänglich machen. Die Klischee-Frage „Ach, das kann man studieren?“ könnte anhand von Performances an Orten des öffentlichen Lebens ohne Worte, allein durch die Musik marginalisiert werden.
Last but not least muss es die EMP-Welt mit dem Nährboden der Begriffsunschärfe „elementar“ auf sich nehmen. Beginnend beim Übersetzungsproblem mit „elementary“ als Ausrichtung auf das Unterrichten in der Primarstufe. Weitergehend zu Carl Orff: Er spricht im Kontext der „Elementaren Musikübung“ von „primitiver Musik“ und vom Weg zurück zum „Natürlichen“, wobei er sich unter anderem auf das Musizieren indigener Völker bezieht und damit die Elementare Musizierpraxis seiner Zeit einem kolonialen Weltbild unterliegt.3 Nicht zuletzt die Tatsache, dass regelmäßig Artikel und Beiträge erscheinen, die sich dem Versuch des Greifbar-Machens dieses Begriffs widmen,4 zeugt von der vorherrschenden Unklarheit des Kerns der EMP und vom Wunsch nach einem einheitlichen Verständnis. Dass Klischees und Missverständnisse entstehen, wenn selbst für ExpertInnen der Begriff „elementar“ nicht gänzlich greifbar ist, ist mehr als nachvollziehbar und kann nicht verurteilt werden.

Produktiver Umgang mit Klischees

Verurteilen steht für mich sowieso außer Frage. Vielmehr sehe ich den Handlungsspielraum zwischen Mitlachen und Rechtfertigen. Dabei helfen mir Schlagfertigkeit, Kompetenz und Präsenz – und zwar übertragbar auf alle weiteren Instrumente und Musikstudiengänge, die mit Klischees beladen sind. Welche dieser drei Handlungsmöglichkeiten sich jeweils anbietet, ist für mich situationsbedingt. Kann mein Gegenüber mit Ironie und Provokation umgehen, bietet sich Schlagfertigkeit an. Für die Blockflöte verwende ich dann gerne Stefan Temminghs Entgegnung auf die Floskel „Blockflöte spielen kann ich auch“. Für ihn ist diese Aussage damit vergleichbar, dass man zu einem Formel-1-Piloten wie Michael Schumacher gesagt hätte: „Autofahren kann ich auch“.
Ulrike Jungmair bietet einen Ansatz zum Umgang mit der Gleichsetzung „EMP = Musikalische Früherziehung“: In der EMP werde nicht zuletzt deshalb so viel mit Kindern musiziert, weil die Lehrpersonen in diesem Tun ein Verständnis vom Begriff „elementar“ erfahren können, welches das Musizieren mit allen anderen Gruppen, altersunabhängig, bereichere.5 Camille Savage-Kroll entgegnete auf die Frage, wie man in der EMP schlagfertig sein kann, dass EMP erfahren werden müsse und Schlagfertigkeit daher schwierig sei.
In einem solchen Fall kann Kompetenz eine Form des möglichen Umgangs sein. Werde ich mit einem Klischee konfrontiert, passiert das meist nicht mit böser Absicht, sondern vielmehr aus Unwissenheit. Erzähle ich meinem Gegenüber dann zum Beispiel, dass die Blockflöte in der Barockzeit ein goldenes Zeitalter erlebte mit Sololiteratur en masse, welche Spieltechniken in Kompositionen der Neuen Musik eingesetzt werden und dass die Koordination von Finger, Zunge und Luft eine Lebensaufgabe für alle BlockflötistInnen ist, nehme ich die Person ein Stück weit mit in meine Blockflötenblase.
Auch in der Elementaren Musikpädagogik kann Kompetenz zum Tragen kommen durch die Erklärung, welche Notwendigkeit der EMP und dem EMP-Studium zukommt. Zu nennen wäre beispielsweise, dass EMP dem Menschen die Möglichkeit bietet, sein Selbst und eine ihm eigene Musik auszudrücken6 oder nach Ulrike Jungmair „den aus sich heraus musizierenden, tanzenden, improvisierenden Menschen in den Mittelpunkt [zu] stellen“.7 Entscheidend ist auch der im Studium ausgeprägte Dualismus von Instrument und Elementarer Musikpädagogik, der uns Studierende zu KünstlerInnen und zu Lehrenden macht. Als Lehrende erlernen wir ein vielfältiges Methodenrepertoire, um auf kreative Impulse spontan reagieren zu können.8
Auch die Forschung als Futter für die Kompetenz ist für den Umgang mit Klischees unabdingbar. Sei es für die Blockflöte die musikwissenschaftliche Forschung in der Historischen Aufführungspraxis, die Forschung der Spieltechnikoptimierung oder der Blockflötenbauweisen, so wäre in der EMP die Begriffsforschung von „elementar“ naheliegend. Je mehr Wissen zum jeweiligen Fach generiert werden kann, desto stabiler kann sich der entsprechende Bereich in der Musikwelt verankern und Klischees damit aus dem Weg räumen.

Erfahrbar machen durch Präsenz

Da Musik nach wie vor vom praktischen Tun lebt, sehe ich genau dieses aktive Musizieren als große Chance für den Umgang mit Klischees. Anstatt nach schlagfertigen Sätzen zu suchen oder quellenbasierte Aussagen zu deklamieren, kann gerade das Musizieren bedrückenden Emotionen entgegenwirken und für Verständnis beim Gegenüber sorgen. Konkret geht es also um die Präsenz von MusikerInnen, deren Fach und Instrument unterrepräsentiert und klischeegeladen ist.
Dieses Zugegensein beginnt beim Unterrichten, wenn wir in einer Unterrichtseinheit unseren SchülerInnen vorspielen und sie die Chance haben, an der eigenen Musikbegeisterung teilhaben zu können, im Idealfall davon angesteckt werden. Präsenz spiegelt sich aber auch innerhalb der Hochschule wieder durch Zusammenarbeit mit anderen Fachgruppen. Und auch darüber hinaus kann Präsenz im öffentlichen Raum performativ bei der Vernetzung mit Kultureinrichtungen, Cafés und auf Plätzen der Begegnung ausgelebt werden.
Diese Orte zu nutzen, fokussiert für EMP-Studierende dabei nicht ein Konzert mit dem Hauptfachinstrument. Vielmehr können die Orte zum Leben erweckt und bespielt werden durch einen individuellen, kreativen und konjunktiven Einsatz der im Studium erlernten musikalischen Fähigkeiten. Auf diese Weise wird Präsenz nicht aufdringlich, sondern macht Musik und unsere Kompetenz – in meinem Fall in den Bereichen EMP und Blockflöte – für das Publikum erfahrbar.
Kurzum: Der Umgang mit Klischees zu Instrumenten oder Musikstudiengängen kann situativ erfolgen. Oberstes Ziel bei der Wahl des Umgangs sollte sein, negativ konnotierten Emotionen keinen Raum zu geben, sodass die eigene Begeisterung für das jewei­lige Fach nicht unter Klischeefloskeln leidet oder gar Zweifel aufkommen. Vielmehr geht es darum, die eigene Begeisterung für das Fach dem Gegenüber zu vermitteln. Ob dies dann auf schlagfertige, kompetente, emotionale oder musikalische Weise passiert, bleibt jedem und jeder selbst überlassen.

1 Soltau, Hannes: „Die Blockflöte als Folterinstrument: Verpfeift euch!“, in: Tagesspiegel vom 21.12.2020, https://plus.tagesspiegel.de/gesellschaft/die-blockfloete-als-folterinstrument-verpfeift-euch-83144.html (Stand: 5.1.2023).
2 Ribke, Juliane: Elementare Musikpädagogik. Persönlichkeitsbildung als musikerzieherisches Konzept, Regensburg 1994, S. 31.
3 vgl. Jungmair, Ulrike: Das Elementare. Zur Musik- und Bewegungserziehung im Sinne Carl Orffs. Theorie und Praxis, Mainz 2010, S. 101 f.; Wirmer, Hannah: „Das Elementare. Zum Ursprungsdenken im Sprechen über das Elementare in der Musikpädagogik“, in: üben & musizieren, 3, 2021, S. 36-38.
4 vgl. Anm. 3.
5 Jungmair, S. 264.
6 Schneidewind, Ruth: Die Wirklichkeit des elementaren Musizierens, Wiesbaden 2011., S. 38.
7 Jungmair, S. 10.
8 ebd.

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