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Bauchrowitz, Frank

Unterschätzte Gefahr

Scheinselbstständige Honorarkräfte an Musikschulen – Risiken und Nebenwirkungen, Teil 1

Rubrik: Recht & Versicherung
erschienen in: üben & musizieren 4/2023 , Seite 34

Nach wie vor besteht an Musikschulen große Angst davor, dass freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Honorarlehrkräfte als scheinselbstständig ein­gestuft werden. Aber was bedeutet Scheinselbstständigkeit genau? Und mit welchen Folgen in arbeitsrechtlicher, sozialrechtlicher und steuerrechtlicher Hinsicht haben Musikschulen und ­Honorarkräfte zu rechnen, wenn eine Einstufung als scheinselbstständig erfolgt? Wie kann man vorbeugen?

Zwischen Musikschulen und ihren Lehrkräften bestehen in aller Regel schriftliche Verträge. In diesem Rahmen erfolgt auch – aus unterschiedlichen Gründen – die Beschäftigung von Honorarkräften bzw. freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, also selbstständig Tätigen. Hier können zum Beispiel die flexibleren Einsatzmöglichkeiten von Honorarkräften und die damit zusammenhängende Wirtschaftlichkeit, insbesondere die geringere Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge, eine Rolle spielen. Aus juristischer Sicht ist es jedoch nicht einfach, Honorarkräfte von angestellten Musikschullehrkräften klar abzugrenzen. Deshalb besteht zu Recht die Angst vieler Musikschulleiterinnen und -leiter, dass ihre Lehrkräfte irgendwann als scheinselbstständig eingestuft werden.
Unter Scheinselbstständigkeit wird folgende Situation verstanden: Der Wortlaut eines Vertrags entspricht dem eines freien Mitarbeiterverhältnisses, die Durchführung des Vertragsverhältnisses aber der eines Arbeitsverhältnisses. Es besteht also nur scheinbar ein Vertragsverhältnis, das die Lehrkraft juristisch als Selbstständigen gelten lässt. In Wirklichkeit besteht jedoch ein Arbeitsverhältnis, das juristisch anders zu handhaben ist als der Abschluss eines Honorarvertrags.
Diese Problematik hat sich weder durch die Einführung eines Arbeitnehmerbegriffs ins Bürgerliche Gesetzbuch im Jahr 2017 merklich entschärft noch durch die Reform des sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellungsverfahrens im April 2022.1 Dies zeigen auch zwei Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) aus den Jahren 2018 und 2022.2 Das Gericht stellt weiterhin darauf ab, „dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d. h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden“.3 Eine klare Trennlinie zu Arbeitsverträgen und somit eine so oft von den Musikschulleitungen gewünschte „wasserdichte“ Vertragsgestaltung für Honorarverträge gibt es also bedauerlicherweise nach wie vor nicht. Vielmehr muss weiterhin eine ausführliche Würdigung des Gesamtbildes der Tätigkeit der betreffenden Lehrkraft vorgenommen werden.

Merkmale für eine ­Honorartätigkeit

Die Anhaltspunkte, die nach der Rechtsprechung des BSG für eine Einstufung als Honorartätigkeit sprechen, bleiben unscharf und sind in der Praxis schwer anzuwenden. Für eine Honorartätigkeit sprechen beispielsweise die folgenden Merkmale:4
– Die Lehrkraft hat eine eigene betriebliche Organisation und eine Betriebsstätte und betreibt ihre Tätigkeit auf eigenes Unternehmerrisiko.
– Der Unterricht findet grundsätzlich in der Betriebsstätte der Lehrkraft statt. In den Räumlichkeiten der Musikschule kann er ebenfalls stattfinden, und zwar im Rahmen der Kapazitäten und der organisatorischen Möglichkeiten der Musikschule.
– Der Unterricht wird von der Lehrkraft zeitlich frei organisiert. Von der Musikschule dürfen nur Zeitfenster vorgegeben werden, in denen der Unterricht grundsätzlich stattfinden soll.
– Eine Honorarkraft kann zum Unterrichten nach Lehrplänen von der Musikschule nur insoweit verpflichtet werden, als der Unterricht trotzdem insgesamt weisungsfrei ist und diese Weisungsfreiheit die Tätigkeit insgesamt als unternehmerisch kennzeichnet.
– Der Unterricht sollte, sofern notwendig, unter Zuhilfenahme eines eigenen Instruments der Lehrkraft stattfinden.
– Aufgrund von Erkrankungen des Lehrers ausgefallene Unterrichtsstunden sollen von der Lehrkraft nachgeholt werden können.
– Die Teilnahme an Musikschulkonferenzen sollte nicht verpflichtend sein, auch dann nicht, wenn sie vergütet wird.

1 siehe Henssler, Martin/Grau, Timon: Arbeitnehmerüberlassung, Solo-Selbstständige und Werkverträge. Aktuelle Gesetzeslage und Auswirkungen für die Praxis, 3. Auflage, 2022, §4 Rz 8ff.
2 BSG Urteile vom 14.03.2018 (Az: B 12 R 3/17 R), in dem die Einzelfallbeurteilung eine Einstufung als Honorarkraft ergab, und vom 28.06.2022 (Az: B 12 R 3/20 R), in dem das Gericht eine Mitarbei­terin als angestellt einstufte.
3 BSG Urteil vom 28.06.2022 (Az: B 12 R 3/20 R; Rz 11 am Ende).
4 BSG Urteil vom 28.06.2022 (Az: B 12 R 3/20 R).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2023.