© Cordula Reiner-Wormit

Reiner-Wormit, Cordula / Mara-Theresa Schwenk / Franziska Eßlinger

Spielraum Musik

Kooperationsprojekt der Musikschule Waghäusel-Hambrücken, um die seelischen Folgen der Pandemie zu bewältigen

Rubrik: Musikschule
erschienen in: üben & musizieren 4/2023 , Seite 38

Die Pandemie hat uns allen körperlich wie seelisch viel abverlangt und unsere psychischen Widerstandskräfte und Anpassungsfähigkeiten herausgefordert. Besonders bei Kindern und Jugendlichen wurde deutlich, welch wesentliche Rolle äußere und innere Schutzfaktoren für den Umgang mit schwierigen Situationen und Phasen im Leben spielen. Und dass es auch von den zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten abhängt, ob aus Krisen Entwicklungs­brüche und -störungen resultieren – oder die kindliche Entwicklung trotz aller Widrigkeiten voranschreiten und sich gesund entfalten kann. Konzepte zur Förderung von Resilienz sind derzeit in aller Munde. Eins davon hat 2022 den HERGEHÖRT! Musikschulpreis Baden-Württemberg gewonnen und soll hier näher vorgestellt werden.

Unter dem Motto „Starke Ideen für die Musikschule von morgen!“ wurde der HERGEHÖRT! Musikschulpreis Baden-Württemberg vergangenes Jahr vom Landesverband der baden-württembergischen Musikschulen gemeinsam mit der Staatlichen Toto-Lotto-GmbH Baden-Württemberg erstmalig vergeben. Unter den Einsendungen wurde je ein Jury- und ein Publikumspreis zur Würdigung kreativer, zukunfts­fähiger und vielfältiger Projekte vergeben, die in den vorangegangenen Jahren der Pandemie an Musikschulen entstanden sind. Die meisten Stimmen des Online-Votings erhielt das Kooperationsprojekt „Spielraum Musik“ der Musikschule Waghäusel-Hambrücken e. V. mit der Kurt-Waibel-Schule: ein musiktherapeutisches Präven­tionskonzept zur Förderung der Resilienz an einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) mit Förderschwerpunkt Lernen.
Bereits 2007 trat die Kurt-Waibel-Schule in Schwetzingen – damals noch Förderschule, heute Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Lernen – mit folgendem Anliegen an die Musikschule heran: Mit musiktherapeutischen Methoden1 sollten im schulischen Alltag emotionale und soziale Kompetenzen zur Gewaltprävention im Klassenverband gefördert werden. Im Abgleich mit den Zielen des Bildungsplans konzipierte der Fachbereich Musiktherapie der Musikschule dazu den sogenannten „Spielraum Musik“, in dem jeweils die 2. Klasse (acht bis zwölf Kinder mit ihrer Klassenlehrkraft) für ein ganzes Schuljahr unter der Leitung einer Musiktherapeutin ein musikalisches Gruppenangebot erhielt. Dieses sollte vor allem die Selbst- und Fremdwahrnehmung, die emotionalen Regulierungsfähigkeiten der Kinder, das soziale Miteinander und ein konstruktives Klassenklima fördern.
In der Pandemie wurde das Konzept an die veränderten Bedürfnisse der SchülerInnen angepasst. Im Vergleich zu RegelschülerInnen gehörten gerade sie zu denjenigen Kindern, bei denen aufgrund ihrer geringeren kognitiven Leistungsfähigkeit, ihrer sprachlichen Einschränkungen, ihrer emotionalen und sozialen Disposition oder aufgrund eines belasteten häuslichen Umfelds viele Risikofaktoren kumulierten, sodass sie in Bezug auf Brüche in der Lern- und Entwicklungsbiografie sowie Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen besonders gefährdet waren.2 Im „Spielraum Musik“ sollte das Wissen um diese Vulnerabilität – jenseits von Stigmatisierung, jedoch mit fachlicher Expertise – berücksichtigt und ein kontinuierlich kompensierender Raum geschaffen werden, in dem die Stärkung der Resilienzfaktoren und damit die Prävention von psychischen Auffälligkeiten fokussiert werden.
Ein umfassender Überblick, was die Resilienz von Kindern stärkt, sprengt den Rahmen dieses Artikels. Es lässt sich aber festhalten, dass die Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung, ein positives Selbstkonzept sowie die Fähigkeit zur emotionalen Selbstregulation und damit Selbststeuerung von großer Bedeutung sind. Ebenso spielen das Erleben von Selbstwirksamkeit, soziale Kompetenzen sowie aktive Bewältigungskompetenzen und Problemlösefähigkeiten eine große Rolle.3 Darüber hinaus wird das Erleben (mindestens) einer stabilen Bezugsperson und positiven Beziehungserfahrung als entscheidend für seelische Widerstandkraft angesehen. Musik als Beziehung stiftendes Ausdrucks- und Kommunikationsmedium im Allgemeinen und natürlich musiktherapeutische Methoden im Speziellen bieten hierzu eine Fülle von Unterstützungs- und Förderungsmöglichkeiten, welche daher in der Konzeption des „Spielraums Musik“ als musiktherapeutische Selbsterfahrungsgruppe im schulischen Alltag gezielt genutzt werden.

1 mehr dazu siehe VdM-Arbeitshilfe: Spektrum Musiktherapie, Bonn 2020.
2 Ergebnisse der COPSY-Studie: https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-021-03291-3 (Stand: 4.7.2023).
3 siehe Fröhlich-Gildhoff, Klaus/Rönnau-Böse, Maike: Resilienz, 4., aktualisierte Auflage, München 2022.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2023.