Jutzi, Caroline / Kirsten Werner

Carl Flesch für Kinder

Kinderbuch & Übebuch für die Geige, mit Freundelied, Videos und Playback, Illustrationen von Johanna Grüneberg

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ries & Erler, Berlin 2022
erschienen in: üben & musizieren 4/2023 , Seite 60

Was würde wohl Carl Flesch sagen, wenn er im Kinder- und Übebuch von Caroline Jutzi und Kirsten Werner blättern könnte? Er würde sich in einer Bilderbuchgeschichte wiederfinden – als alter Mann, der virtuos Geige spielen kann und am Ende dem von einer Schnecke und einem Frosch gespielten „Freundelied“ begeistert lauscht. Im zweiten Teil des Buchs, dem „Übebuch“, würde er Auszüge und elementare Gedanken seiner berühmten Urstudien und der Kunst des Violinspiels, aufbereitet für Kinder im Grundschulalter, entdecken – so die Intention der Autorinnen.
Im Übebuch finden sich ein kurzes Vorwort „für die kleinen Leute“ sowie ein mit vier Seiten umfangreiches Vorwort „für die großen Leute“, in dem Jutzi und Werner ihr violinpädagogisches Vorgehen ausführlich erläutern. Das Übekonzept konzentriert sich auf „drei A’s“: Das Aufstellen, Aufwärmen und Auftreten. Sie sind Grundlage und Handlungsstrang aller fünf im Buch aufgeführten Lektionen. Während das Aufstellen gleichbleibende gymnastische Übungen enthält und sich grundsätzlich mit der korrekten Geigen- und Bogenhaltung beschäftigt, bilden das Aufwärmen und das Auftreten jeweils eine thematische Einheit. Behandelt werden unter anderem in der linken Hand der Fingerfall auf die Saite, die Lockerheit des Daumens sowie eine Vorübung zum Lagenwechsel.
Das didaktische Vorgehen baut stimmig aufeinander auf. Zu jeder Lektion bieten die Autorinnen QR-Codes mit Videos und Audios. Sie sind aufwändig gestaltet und sollen die Übungen im Buch erläutern und veranschaulichen. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich in den Videos jedoch kleine Schönheitsfehler wie die nicht ganz sauber gestimmten Geigen oder die unsaubere Durchführung der „Schneckenrutschen“-Technik durch das Kind.
Das Freundelied der Bilderbuchprotagonisten bildet schließlich den Abschluss der fünf Lektionen und wird in drei unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden angeboten. Zusätzlich gibt es ein DIN-A3-Poster, das eine Übersicht der im Buch aufgeführten Aufwärmübungen für die linke und rechte Hand zeigt.
Die Autorinnen empfehlen ihr Werk als „Ergänzung zu jeder gängigen Geigenschule“ und für den Einsatz sowohl im Gruppen- als auch im Einzelunterricht. Dem kann man uneingeschränkt zustimmen. Spannend bleiben jedoch die Fragen, wie lange der erwünschte Motivationsreiz der Schnecken- und Froschgeschichte bei den Kindern anhalten wird und ob das Buch in seiner Aufmachung und dem didaktischen Vorgehen mit Mitsprechsätzen wie „Finger drum, Finger krumm, Finger drauf, fertig“ oder „Küsschen, Küsschen“ tatsächlich noch die Zielgruppe der Grundschulkinder oder „fortgeschrittene Geiger auf jedem Niveau“ anspricht. So bleibt mit den Autorinnen festzuhalten: „Schnecke und Frosch sind ge,Flescht‘“ – ob es die Leserinnen und Leser auch sind?
Gabriele Hirte