Bach, Johann Sebastian

Sechs Suiten

für Violoncello solo, eingerichtet für Viola solo, hg. von Chung Park

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2023
erschienen in: üben & musizieren 4/2023 , Seite 61

Für BratscherInnen zählen die Suiten von Bach zum Schönsten und Erfüllendsten. Dass sie eigentlich für Violoncello komponiert wurden, muss keinen Violaspieler grämen: Im Barock verhielt man sich in solchen Fragen pragmatisch. An Viola-Ausgaben dieser Werke ist kein Mangel. Die nun bei  Bärenreiter erschienene Urtextausgabe von Chung Park unterscheidet sich von den bisherigen Ausgaben vor allem dadurch, dass sie sich nicht hauptsächlich auf die Abschrift des verloren gegangenen Autografs durch Anna Magdalena Bach stützt, sondern vornehmlich die Quelle C, die von Johann Nikolaus Schober und einem unbekannten Schreiber erstellt wurde, und die Quelle D eines unbekannten Schreibers heranzieht. Diese Quellen sind jünger als die Abschrift von Bachs Frau.
Chung Park will mit dieser Ausgabe „eine Alternative bieten, die wiedergibt, wie der Komponist diese Suiten später in seinem Leben aufgeführt haben könnte“. Eine wichtige Frage hierzu sind die Bindebögen, die offenbar, wie Park behauptet, in den benutzten Quellen einen besonders hohen Grad der Übereinstimmung mit dem verschollenen Autograf aufweisen. Ob und wie diese Übereinstimmung mit einem nicht mehr vorhandenen Autograf nachgewiesen werden kann, wird von Park nicht dargelegt.
Die Ausgabe ist ein strenger Urtext, das heißt der Herausgeber fügt keine eigenen Hinweise zu den Fingersätzen, zum Bogenstrich oder zur Dynamik hinzu. Das alles muss sich der Spieler oder die Spielerin selbst erarbeiten. Auch bei der fünften und sechsten Suite hält sich diese Ausgabe streng an den Urtext: Bei der fünften muss der Bratscher die A-Saite um einen Ton nach unten stimmen, also zum g. Bei der sechsten ist die Originalstimme für ein fünfsaitiges Violoncello piccolo mit zusätzlicher e-Saite komponiert, das mit einem Gurt an der Brust gehalten wurde. Dieses Instrument ist mit der Viola da spalla und der Viola pomposa verwandt, wenn nicht gar identisch. Park empfiehlt den SpielerInnen, sich eine solche Viola von einem auf historische Instrumente spezialisierten Geigenbauer zu besorgen, da nur damit der von Bach erstrebte Klang verwirklicht werden kann. Aber Park bietet auch eine mit „normaler“ Bratsche spielbare Stimme.
So ermöglicht diese Urtextausgabe spannende neue Begegnungen mit Bachs Solosuiten – in einer vorzüglich lesbaren und schön gedruckten Ausgabe.
Franzpeter Messmer