Kreidler, Dieter

Workshop Fingerstyle Guitar

24 neue Kompositionen für Gitarre. Solo – Duo – Warm Ups, mit Online-Material

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2022
erschienen in: üben & musizieren 4/2023 , Seite 64

Fingerstyle, auch Fingerpicking genannt, ist eine sehr effektive gitarristische Spieltechnik, bei der mit Wechselbässen in regelmäßigen Viertelnoten und zwischengeschobenen Melodietönen unter Einsatz vieler leerer Saiten ein voller und dichter Gitarrenklang entsteht. So lassen sich Solostücke spielen und Lieder begleiten, am besten auf einer Westerngitarre mit Stahlsaiten. Ihre Hochblüte hatte diese Technik, die Elemente aus Ragtime und Country integriert und auch ein eigenes musikalisches Genre bildet, in den 1970er Jahren im Umfeld der Folkbewegung. Virtuosen wie Peter Finger, Werner Lämmerhirt, Chet Atkins oder Leo Kottke prägten die Szene und ein populäres Unterrichtswerk von Peter Bursch verleitete eine ganze Generation von Jugendlichen, Gitarre zu lernen.
Darauf baut nun Dieter Kreidlers Workshop Fingerstyle Guitar auf. Sein Ziel ist es, ausgehend vom vollen Sound der vielen leeren Saiten beim Fingerpicking nach und nach durch 14 verschiedene Tonarten in Dur und Moll zu führen, hin zu neuen spieltechnischen und klanglichen Herausforderungen. 24 ein- bis zweiseitige Eigenkompositionen führen von c-Moll über g-Moll bis H-Dur. Die Stücke folgen nicht dem Quintenzirkel, sondern sind in etwa progressiv geordnet. In gleichem Maße, wie die leeren Saiten nach und nach wegfallen, steigt der Schwierigkeitsgrad, und das so typische „Perlen“ der Akkordbrechungen ist nicht leicht zu erreichen. Erschwerend kommt hinzu, dass Kreidler auf die Hits des Genres verzichtet, seine eigenen Kompositionen aber nicht durchweg pfiffige Ideen aufweisen, die dazu verleiten, sich den technischen Herausforderungen zu stellen.
Alle Stücke werden in Notenschrift und Tabulatur präsentiert, Letztere leider ohne Rhythmuszeichen. Neben den Solofassungen ist jede Komposition im zweiten Teil des Hefts als Duo aufgeteilt, wobei die zweite Stimme nur die Bässe spielt. Hilfreich sind downloadbare Videos, die von allen Kompositionen aufgenommen wurden. Zum Workshop-Charakter sollen die Warm Ups beitragen, die der Untertitel verspricht, die aber nur aus einem einzigen Stück bestehen, das auf mehrere Arten va­riiert werden kann. Hinzu kommen zwei Akkordfolgen, die auf verschiedene Weise in Dreiklangszerlegungen aufgelöst werden, bis hin zum Einbauen versteckter Melodieketten. Die Aufforderung, auf den nächsten zwei leeren Seiten nun einen eigenen Song zu ergänzen, eines der aufgelisteten Patterns zu notieren und über alle Akkorde anzuwenden, ist reichlich ambitioniert.
Die beigefügten Fotos zeigen in braven Posen die beiden klassisch ausgebildeten Gitarristen, die die Videos eingespielt haben, sowie Kreidler selbst an der Gitarre, vermitteln aber nichts von der Faszination und der unbändigen Spielfreude, die Fingerpicking früher einmal hatte und in jüngster Zeit durch Gitarristen wie Tommy Emmanuel wieder erlangt hat.
Jörg Jewanski