© Joachim A. Schaefer

Schaefer, Joachim A.

Den Schlüssel finden

Zum Umgang mit Störungen im Gruppenunterricht

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 4/2025 , Seite 24

Im Gruppenunterricht ist unheimlich viel los: Die Kinder daddeln auf ihren Instrumenten herum, grätschen mitten in der Erprobung eines Liedes, einer instrumentenspezifischen Spiel­technik oder während der Anleitung durch die Lehrkraft dazwischen oder produzieren (un-)bewusst „Fehler“1 auf ihren Instrumenten. Viele Lehr­kräfte empfinden solche Unterrichts­situationen und den dadurch entstehenden Lärmpegel als belastend und als Störung. Doch wie könnte man dieses Gewusel kreativ nutzen?

Welche Potenziale bietet das unruhige Verhalten der Kinder? Lassen sich daraus Handlungsstrategien entwickeln? Lässt sich durch Beobachten und Zulassen dieses kreativ (un-) inspirierten und dazwischen grätschenden Spiels der Grad der demokratischen Mitbestimmung der Kinder im Unterricht erhöhen? Begünstigt man durch diese Form der Partizipation kreatives, künstlerisch-ästhetisches und sozial-ästhetisches Handeln?
In diesem Beitrag gebe ich an Beispielen aus meiner Praxis Ideen für den konstruktiven Umgang mit vermeintlichen Störungen im Gruppenunterricht. Anhand dreier exemplarischer „Engel-Momente“2 aus meinem JeKits-Unterrichtsalltag möchte ich aufzeigen, wie JeKits-Kinder zu KomponistInnen, InstrumentalpädagogInnen, ErzieherInnen und MusikerInnen werden und auf diese Weise beginnen, eigene Musik zu erfinden und zu performen sowie ihren eigenen Unterricht zu gestalten und zu regulieren.

„Frau Elif“ als Kom­ponistin und Lehrerin

Im Gewusel am Anfang einer JeKits-Stunde (Geige, Klasse 2, sechs Mädchen, 6. Schulstunde) passieren wertvolle Dinge. Ich genieße diese Situation und nutze dieses kostbare und an Ideen der Kinder reiche Zeitfenster, um mit den Kindern ins Gespräch zu kommen, um abzutasten, wie die Grundstimmung bei den Kindern ist, und um zu beobachten, was die Kinder so machen.
Etwa drei Monate nach der ersten JeKits-Geigenstunde nahm ich während eines sehr unruhigen Unterrichtsbeginns – ein Kind hörte trotz mehrmaliger Ermahnungen nicht auf, beim Auspacken des Instruments Capri-Sonne zu schlürfen, ein Kind hatte „keinen Bock“ und ein Kind sagte ständig „Nein“ – aus dem Augenwinkel Elif wahr, wie sie auf ihrem Ins­trument zu zupfen und parallel zu singen begann. Sie explorierte voller Freude gleichzeitig Melodie und Text. Ich bat sie, ihre Entdeckung im Kopf zu behalten.
Eigentlich hatte ich einen anderen Plan für diese Stunde, doch die Ideen und die Energie, die von Elif ausgingen, waren so erfrischend, dass ich kurzfristig umschwenkte. Ich bat sie, den anderen Kindern ihr Lied beizubringen. Sie schaute ungläubig überrascht, freute sich – und auch die anderen Kinder bemerkten nun, dass etwas Interessantes vor sich ging. Neugierige Augenpaare richteten sich auf Elif. Flugs war die Unruhe verflogen und alle machten begierig mit. Elifs Lied hieß „Versteckst Du Dich nochmal“.
Die übliche Heterogenität in Bezug auf Lerntempo und Lernniveau war überwunden: Auch die lernlangsameren Kinder verinnerlichten und spielten ausprobierend Elifs Komposition mit Freude und Leichtigkeit. Ich half „Frau Elif“ als Sidekick oder Souffleur dabei, den Unterricht selbst als Lehrerin durchzuführen, und agierte als gleichberechtigter Mitspieler auf Kinderebene, indem ich mich mit meinem Erst- oder Zweitinstrument auf einen der kleinen Stühle setzte. (Letzteres erinnert mich an meine Yoga-Stunden, in denen wie selbstverständlich gestandene YogalehrerInnen und erfahrenere Yogis mit den AnfängerInnen gemeinsam friedlich und ergeben Matte an Matte üben.)

1 „Fehler sind erlaubt“, Achim Tang, Kontrabassist und Improvisationskünstler.
2 Von „Engel betritt den Raum“-Momenten spricht Bianka Wüstehube, Geigerin, Instrumentalpädagogin und Autorin von Streicherliteratur und instrumentalpädagogischen Texten.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2025.

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