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Arnoldussen, Andrea / Carolin Danner / Isabel Gabbe / Markus Geiger / Daniela Berlin

Klavierunterricht mit links

Lernwege für KlavierschülerInnen – von der linken Hand aus gedacht

Rubrik: Diskussion
erschienen in: üben & musizieren 4/2025 , Seite 36

Linkshändige Kinder dürfen ihre dominante linke Hand heute selbstverständlich zum Schreiben benutzen und immer mehr LinkshänderInnen spielen auch Geige, Flöte und Gitarre „links herum“. Aber wie ist es beim Klavier? Hat die Händigkeit für das Erlernen des Klavierspiels eine Bedeutung? Wie LinkshänderInnen im Klavierunterricht gefördert werden können und mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert sind, wird in diesem Beitrag diskutiert.

„Das Klavier bevorzugt keine Händigkeit“ hört man häufig aus Pianistenkreisen. Auf den ersten Blick scheinen beim Klavierspiel an rechte und linke Hand die gleichen Anforderungen gestellt zu werden. Zumindest in der gängigen Klavierliteratur kommt der rechten Hand jedoch meist die Führungsrolle zu: Sie ist in den höheren Lagen häufig für die Melodiegestaltung und damit auch für den emotionalen Ausdruck zuständig und von ihr wird mehr Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Ausdauer verlangt als von der linken Hand. In virtuoser Konzertliteratur zeigen sich die motorischen Anforderungen an die rechte Hand besonders deutlich, etwa in Schuberts Erlkönig oder Chopins Klavieretüden.
Wie fühlt es sich aber für linkshändige PianistInnen an, wenn beim Klavierspiel die nicht-dominante rechte Hand spieltechnisch und bei der Umsetzung des emotionalen Ausdrucks mehr gefordert ist als die dominante Linke? Die Praxis zeigt, dass LinkshänderInnen sehr erfolgreiche KonzertpianistInnen sein können – wie Hélène Grimaud oder Anna Vinnitskaya.1 Andere LinkshänderInnen wiederum erleben beim Klavierspiel ein anhaltendes Gefühl der „Unstimmigkeit“ und stoßen aufgrund ihrer Händigkeit zeitlebens an unsichtbare Gren­zen.

Händigkeit und Umschulung

Die Händigkeit eines Menschen zeigt sich in der Bevorzugung und der Überlegenheit einer Hand bei Tätigkeiten, die Geschicklichkeit und Ausdauer erfordern oder mit einem Gefühlsausdruck verbunden sind. Bestimmt wird die Händigkeit mittels verschiedener Testverfahren entweder zur Handpräferenz oder zur Handgeschicklichkeit.2 Eine neuere internationale Metastudie ermittelte einen Bevölkerungsanteil von Linkshändern von rund elf Prozent.3
Eine sogenannte „Umschulung“ – also das Schreiben mit der rechten Hand als LinkshänderIn, wie es in Deutschland lange Zeit gesellschaftlich erzwungen wurde – hinterlässt bleibende Unterschiede in der funktionalen Neuroanatomie des Gehirns, wie sich am Beispiel des Schreibens zeigt: Obwohl die Leistung beim Schreiben bei Rechtshändern und umgeschulten Linkshändern vergleichbar ist, werden bei Letzteren andere Bereiche des Gehirns aktiviert.4 Das bedeutet, dass komplexe Bewegungsaufgaben einer Hand durch eine Umschulung nicht vollständig auf die nicht-dominante Gehirnhälfte übertragen werden,5 die motorische Hirnaktivität unterscheidet sich deutlich im Vergleich zu nicht umgeschulten Linkshändern.6
LinkshänderberaterInnen beobachten in ihrer Berufspraxis zahlreiche Probleme umgeschulter LinkshänderInnen wie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, fein­motorische Schwierigkeiten und Rechts-Links-Unsicherheiten, aber auch psychische Probleme wie Gefühle von Unsicherheit und Minderwertigkeit.7 Durch den empfundenen hohen Kraft- und Konzen­trationsaufwand für Leistungen fühlen sich Betroffene häufig in ihren persönlichen Stärken blockiert.

Linkshändig am Klavier

Da Klavierspielen ebenso wie Schreiben ein komplexer Vorgang ist, könnten beim Spielen auf einem Rechtshänderinstrument für LinkshänderInnen ähnliche Folgen zu erwarten sein wie bei einer Umschulung zum Schreiben mit der nicht-dominanten Hand. Eine Studie mit (angehenden) professionellen MusikerInnen einer Musikhochschule zeigte zwar keine negativen Effekte von Linkshändigkeit bezüglich der musikalischen Leistung oder des Wohlbefindens am Klavier.8 Erfahrungsberichte professioneller PianistInnen sprechen aber eine andere Sprache: Sie berichten von einem andauernden Gefühl der Dysbalance und davon, dass sie die Emotionen von ihrer dominanten linken Hand in die rechte Hand „umleiten“ müssen.9 Die Betroffenen erleben den Spielprozess als nicht natürlich,10 berichten von einem unguten Körpergefühl und einer fehlenden Verbindung zum Instrument sowie davon, dass das innerlich Gehörte seinen Weg nicht direkt nach draußen finde. Das Klavierspiel wird als Akt der Anstrengung empfunden.
Besonders im Anfänger- und Amateurbereich haben AutorInnen unter uns die Erfahrung gemacht, dass sich bei LinkshänderInnen Probleme häufen, die Umschulungsfolgen beim Schreiben ähneln: Es treten technische Schwierigkeiten auf – die nicht-dominante rechte Hand schafft die geforderte Schnelligkeit nicht oder ist zu wenig treffsicher. Es gibt Rechts-Links-Unsicherheiten, z. B. Probleme in der Koordination der Hände oder der Spielrichtungen. Möglicherweise durch die Anstrengung der Anpassung lässt die Konzentration schnell nach, in der Folge häufen sich die Fehler. Die Angst vor Fehlern wiederum kann sich auf das Selbstwertgefühl auswirken. Lehrende können möglichen Problemen linkshändiger SchülerInnen auf verschiedene Weisen begegnen – fachdidaktisch im herkömmlichen Unterrichtssetting oder durch ein sogenanntes Linkshänderklavier mit gespiegelter Tonanordnung.

1 vgl. Arnoldussen, Andrea: Händigkeit und Ins­trument. Wie machen Linkshänder Musik?, Mainz 2020, S. 151 ff.
2 vgl. Ocklenburg, Sebastian: „Was ist Linkshändigkeit?“, in: ders.: Linkshändigkeit und Hirnasym­metrien. Eine Einführung, Heidelberg 2022, S. 3.
3 Papadatou-Pastou, Marietta et al.: „Human handedness: A meta-analysis”, in: Psychological Bulletin, 2020, 146 (6), S. 481-524.
4 Siebner, Hartwig R. et al.: „Long-term consequences of switching handedness: A positron emission tomography study on handwriting in ‚converted‘ left-handers“, in: The Journal of Neuroscience, 2002, 22 (7), S. 2816.
5 Klöppel, Stefan et al.: „Can left-handedness be switched? Insights from an early switch of hand­writing“, in: The Journal of Neuroscience, 2007, 27 (29), S. 7847.
6 Ocklenburg, Sebastian: „Das Umlernen der Hän­digkeit und seine Folgen“, in: Ocklenburg, a. a. O., S. 33, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65447-7_9 (Stand: 3.7.2025).
7 vgl. Sattler, Johanna Barbara: Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn, 13. überarb. u. erg. Aufl., Augsburg 2019, S. 49 f.
8 Kopiez, Reinhard et al.: „No disadvantage for left-handed musicians: The relationship between handedness, perceived constraints and performance-related skills in string players and pianists“, in: Psychology of Music, 2011, 40 (3), S. 357-384.
9 Arnoldussen, S. 158.
10 vgl. Seed, Chris: „Das Linkshänderklavier: ,Wenn ich meine Augen schloss, spielte ich plötzlich spiegelverkehrt‘“, www.linksgespielt.de/post/ chris-seed_dt (Stand: 3.7.2025).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2025.

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