Chopin, Frédéric
Sonate für Klavier h-Moll op. 58
Urtext, hg. von Paul Badura-Skoda und Britta Schilling-Wang, Fingersatz von Hardy Rittner
Die mit beträchtlichem editorischen Aufwand produzierte Neuausgabe bietet PianistInnen zusammen mit einem sorgfältig edierten Notentext ein instruktives Material mit musikwissenschaftlich detaillierten und aufführungspraktisch fundierten Ausführungen. Das Vorwort in deutscher, englischer und französischer Sprache beschreibt zunächst die Entstehungsgeschichte und die komplizierte Drucklegung der im Juni bzw. Juli 1845 erschienenen, in vielen Details voneinander differierenden französischen, deutschen und englischen Erstausgaben. Nach Hinweisen zum Werk werden erneut die verschiedenen maßgeblichen Quellen vorgestellt und die editorischen Prinzipien erläutert.
Diesem von Paul Badura-Skoda und Britta Schilling-Wang verfassten Textteil folgen ausführliche Hinweise zur Interpretation und Aufführungspraxis von Badura-Skoda und Hardy Rittner. Badura-Skoda schreibt über Tempo, Tempomodifikation, Rubato, Ornamentik, Dynamik und Klanggestaltung, Rittner über Legato und Cantilene sowie Pedalgebrauch und Fingersatz. Hier finden sich mancherlei aufschlussreiche Ausführungen: etwa über Chopins Rubato, in dem sich die Oberstimme agogisch frei über dem metrisch stabilen Bass bewegt, über die dem Belcanto-Ideal entsprechende dynamische Abstufung von Melodielinien und Begleitfiguren, über das Chopins Absichten adäquate „Andeuten bzw. Nachzeichnen versteckter Linien“ und das „Herauslesen und (filigrane) Hörbarmachen von ‚Motivkörnchen‘ innerhalb von Passagen“.
Im Notentext werden drucktechnisch dreierlei Arten von Fingersätzen unterschieden: den fett hervorgehobenen Fingersätzen in den Erstausgaben und den kursiv gesetzten, von Chopin herrührenden handschriftlichen Ziffern in Schülerexemplaren hat Hardy Rittner sparsam weitere Fingersätze (gerade gedruckt) hinzugefügt.
An den Textteilen lässt sich einiges kritisieren. Die zahlreichen Quellen des Werks werden im Vorwort zweimal besprochen, getrennt durch den Einschub eines vergleichsweise dürftig gehaltenen Abschnitts „Zum Werk“, der mancherlei fragwürdige Äußerungen enthält: Ist das Scherzo „heiter“ („das heiterste, das Chopin je geschrieben hat“), ist der Beginn des Finales „wütend“? Buchstabenkürzel wie b, tb etc., die für englischsprachige Begriffe stehen, werden erst im Critical Commentary am Ende der Ausgabe aufgelöst.
„Bärenreiter Urtext“-Ausgaben richten sich ausdrücklich an SpielerInnen. Eine gewisse Überladung allerdings ergibt sich in der vorliegenden Ausgabe durch die vielen zusätzlich zum Kritischen Kommentar am unteren Rand der Notenseiten abgedruckten Hinweise auf Details in verschiedenen Quellen, durch die gleichzeitige Notierung unterschiedlicher Pedalisierungen und Fingersätze. Hier wurde des Guten etwas viel getan.
Ulrich Mahlert