© Musikschule Wolkersdorf

Röbke, Peter

Nachhaltigkeit im Musikschulalltag

Bericht über ein Projekt und Vorschlag für eine Argumentation

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2025 , Seite 06

Über ressourcenschonende Maßnahmen in der Praxis der Musikschule lässt sich ­vermutlich erst dann sinnvoll reden, wenn diese ihre Lern-, Musizier- und Begeg­nungsräume öffnet und intensiv in ihr regionales Umfeld hineinwirkt: So kann ein suffizientes Bildungs- und Kulturverhalten ihrer Nutzer:innen entstehen.

Wir können Klimaschutzlieder singen, Musicals aufführen, die den Zustand des Planeten zum Thema machen, und uns mit Ludovico Einaudis Elegy for the Arctic ästhetisch auseinandersetzen: Das ist sehr zu begrüßen, aber mit Nachhaltigkeit in der tagtäglichen Praxis des Instrumental- und Gesangsunterrichts hat das zunächst ebenso wenig zu tun, wie wenn sich Musikschulen grundsätzlich zu den 17 Sustainable Development Goals1 der UN bekennen.
In seiner Keynote „Nachhaltige Musikschulen gestalten die Zukunft“ stellte der Unternehmensberater Stefan Thessenvitz 2023 auf dem Musikschulkongress des VdM in Kassel nicht nur umfassend und kompetent die Geschichte und den Stand der Nachhaltigkeitsdebatte dar und zeigte darauf fußend mög­liche Beiträge der Musikschulen dafür auf, sondern er machte auch den politischen Benefit für eine Musikschule deutlich, die sich als politisch und gesellschaftlich relevante Institution verstehen will.2 Thessenvitz’ Darlegungen mündeten in den Vorschlag, man solle als Musikschule einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Da sehe ich aber nun den Leiter oder die Leiterin einer kleineren Musikschule in ländlichen Gegenden vor mir, die die administrativen Agenden ihrer Ins­titution häufig ohne weitere Sekretariatsunterstützung erledigen müssen und auf deren To-do-Liste jetzt auch noch ein jährlicher Nachhaltigkeitsbericht aufpoppt…
Auch in großen Musikschulen, an denen dafür Verwaltungskapazität vorhanden wäre oder Nachhaltigkeitsbeauftragte installiert werden könnten, würde wohl zunächst neben Fragen nachhaltigen Wirtschaftens über die Einsparung von Emissionen durch Zoom-Konferenzen, die Verwendung von Mehrweggeschirr bei Veranstaltungen, die Reduktion des beim Kopieren anfallenden Papierverbrauchs durch Noten auf Tablets, die wärmedämmende Isolierung zugiger Fenster oder gar über das Anbringen von Solarpanels auf dem Dach des Musikschulgebäudes berichtet. Nichts davon ist irrelevant, wiederum ist jede Maßnahme zu begrüßen – aber das Kerngeschäft, die Realität der täglichen Musikschularbeit ist noch nicht erreicht: Noch sind die Aktivitäten nicht sehr spezifisch, könnten in ähnlicher Weise beim Finanzamt oder beim Bauhof umgesetzt werden. Auch für die Akzeptanz und innere Zustimmung bei den Beschäftigten fehlt noch etwas.
Ich erinnere mich, wie der Klimakreis des Ins­tituts für Musikpädagogik an der Wiener Musikuniversität im Jahr 2023 auf der ersten Lehrerkonferenz der Musikschule Wolkersdorf – jener Musikschule, die als Praxisfeld für Fragen der nachhaltigen Musikschularbeit auserkoren worden war – eine Abfuhr erhielt: Offenkundig überwog bei den KollegInnen der Eindruck, dass ihnen da von außen etwas aufgedrückt werden sollte, ihnen „von der Universität“ eine Thematik angetragen wurde, deren Relevanz zwar nicht bestritten wurde, die aber mit dem Alltag der Musikschularbeit auf den ersten Blick kaum etwas zu tun hatte. Die Stimmung war vielleicht auch deswegen nicht sehr gut, weil wir dem Kollegium zuvor ein schlechtes Gewissen gemacht hatten: Ein in Zusammenarbeit mit der Wiener Universität für Bodenkultur entwickeltes Tool zur Erfassung der CO2-Belastung durch Individualverkehr war bei Eltern und Lehrkräften zum Einsatz gekommen und hatte ergeben, dass die mit dem Auto zurückgelegten Anfahrtswege zur kleinen Wolkersdorfer Musikschule mit ihren etwa 750 SchülerInnen und 28 Lehrkräften die stattliche Summe von 200000 Kilometern im Jahr ergaben – die meisten Fahrten dabei waren jene unter fünf Kilometern gewesen.

Effizienz – Konsistenz – Suffizienz

Selbstverständlich hat Wärmedämmung etwas mit wirksamem Energieeinsatz zu tun und eine „fairanstaltete“ Musikschulveranstaltung zielt auf stimmige Kreisläufe statt auf Wegwerfpappteller und -becher. Wichtig für unsere Suche nach einem Nachhaltigkeitsansatz, der das Kerngeschäft der Musikschulpädagogik erreicht, ist aber die Erkenntnis, dass neben Effizienz und Konsistenz noch ein drittes Prinzip die Debatte bestimmt: das Prinzip der Suffizienz, das – anders als die Maximen von Effizienz und Konsistenz – nicht auf technische Lösungen setzt, sondern unser Verhalten ins Auge fasst.
In einer Publikation des BUND finden wir die folgenden prägnanten Beschreibungen:3
– „Effizienz – Besser produzieren: gleicher Nutzen, weniger Energieverbrauch.
– Konsistenz – Anders produzieren: mit regene­rativen Energien oder durch wiederverwertbare Materialien.
– Suffizienz – Weniger produzieren und konsumieren: Energie- und Materialverbrauch begrenzen.“
Was wäre nun – bezogen auf die Nutzung des Musikschulangebots – ein suffizientes Freizeit- oder besser: Bildungsverhalten, eines, das tatsächlich weniger konsumiert und somit Ressourcen schont? Für eine Antwort stellt sich die Frage nach dem rechten Maß:4 Das bedeutet, dass ich auf die Frage, ob ­etwas gut und gut genug für mich ist, ob ich etwas wirklich brauche, ob mir etwas wirklich wichtig ist, mit einem klaren Ja antworten kann! Also, aus der Sicht unserer SchülerInnen: Brauche ich die Musikschule? Ist mir der Unterricht wirklich wichtig? Ist das Musikmachen ein unverzichtbarer und bedeutsamer Teil meines Lebens?
Ob die Musikschule für ihre SchülerInnen wirklich wichtig ist: Diese Frage werden jene wohl nur dann mit einem eindeutigen Ja beantworten, wenn die Musikschule – innerhalb und außerhalb ihrer Mauern – Räume des Lernens, des Musizierens und des Sich-Begegnens anbietet, somit einen Ort darstellt, den man gerne aufsucht und an dem man viel Zeit verbringen möchte. Der Leser und die Leserin wird merken: Hier klingt ein altes Bemühen um die Verbindlichkeit von Musikschularbeit an, das ewige Ringen darum, dass die Musikschule mehr sein möge als „öffentlich organisierter Privatunterricht“: Die öffentliche Musikschule ist eben nicht ­eine auswechselbare Dienstleistungseinrichtung unter anderen im Freizeitbereich, und der an ihr erteilte Unterricht ist eben kein beliebiges Konsumgut oder spaßiges Wegwerfprodukt unter vielen!
Vor diesem Hintergrund setzen wir normativ für das Nachhaltigkeitsprojekt an der Musikschule Wolkersdorf im österreichischen Weinviertel:5 Der nachhaltige und ein suffizientes Freizeit- bzw. Bildungsverhalten erzeugende Lern-, Musizier- und Begegnungsraum Musikschule entsteht im Dreiklang
– einer lebendigen Unterrichtsgestaltung in flexiblen und variablen Formen,
– einer Vernetzung dieses Unterrichtsgeschehens mit lokalen musikalischen Communities innerhalb und außerhalb der Musikschule
– und eines einladenden Hauses.

1 Mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 Ziele (Sustainable Development Goals) für eine so­zial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt. www.bmz.de/de/agenda-2030 (Stand: 26.8.2025).
2 vgl. www.musikschulen.de/medien/doks/mk23/Dokumentationen/doku_plenum-2.pdf (Stand: 26.8.2025).
3 BUND Landesverband Baden-Württemberg e. V.: „Nachhaltigkeitstrategien“, www.bund-bawue.de/ themen/mensch-umwelt/nachhaltigkeit/nachhaltigkeitsstrategien (Stand: 26.8.2025).
4 vgl. Wikipedia-Artikel zum Stichwort „Suffizienz (Politik)“, https://de.wikipedia.org/wiki/Suffizienz_(Politik) (Stand: 26.8.2025).
5 Dieses Projekt ist dokumentiert in Röbke, Peter: Päda­gogische und ökologische Nachhaltigkeit in der Arbeit der Musikschule, www.musikschule.wolkersdorf.at/Suffizienz_im_Lern-_Musizier-_und_Begegnungsraum_Musikschule (Stand: 26.8.2025).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2025.

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