Beimdieke, Sara / Julian Caskel
Klimawandel im Hörsaal
Unterrichtserfahrungen in der universitären Lehre aus musikwissenschaftlicher Perspektive
Die globalen Herausforderungen des Klimawandels machen auch vor dem Musikbetrieb nicht halt. Die Musikwissenschaft steht vor der Herausforderung, das Thema Klimakrise in das eigene Lehrangebot zu integrieren. Wir diskutieren, welche Impulse die „Ecomusicology“ in die akademische Lehre des Fachs und auch in die Musikpädagogik einbringen kann.
Längst ist der Klimawandel nicht mehr nur ein Thema der Umweltwissenschaften; auch die Künste – und mit ihnen Musikwissenschaft und Musikpädagogik – suchen nach eigenen Formen der Auseinandersetzung mit der Klimakrise. In einer Zeit, in der ökologische Fragen nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen (oder durchdringen sollten), stellt sich auch für die Musikforschung die Frage nach ihrer Verantwortung und ihrem Beitrag zur nachhaltigen Transformation. Welche Rolle kann Musik dabei spielen, Umweltbewusstsein zu fördern? Wie lassen sich ökologische Themen im Konzertsaal oder in Unterrichtssituationen verhandeln? Und wie nachhaltig ist der Kulturbetrieb selbst?
Solche Fragestellungen bilden den Ausgangspunkt der „Ecomusicology“, die sich in den vergangenen 15 Jahren als Forschungsfeld etabliert hat.1 Zwar scheint es eine nischenhaft kleine Angelegenheit zu sein – mit Aaron S. Allen wäre eine einzelne Person zu benennen, die maßgeblich zur Etablierung der Ecomusicology zunächst in der US-amerikanischen Musikforschung beigetragen hat2 –, doch fällt die große Diversität der Zugänge auf, zu denen alle Teilbereiche der Musikwissenschaft, Musikpädagogik und angrenzender Disziplinen beitragen: Ethnografische Studien zu indigenen Musikkulturen oder zur Musikverwendung im Klimaaktivismus stehen neben empirischen Beiträgen, die mit statistischer Akribie die Klimabilanz von Kulturinstitutionen ermitteln;3 analytische Zugänge beschreiben Kompositionsstrategien in der zeitgenössischen Musik, in Klanginstallationen oder Sonifikationen (also Verklanglichungen von wissenschaftlichen Daten).4 Historische Ansätze beschäftigen sich mit frühen Konzertformaten im Freien oder mit der musikalischen Repräsentation von Naturvorstellungen, in denen sich bereits Vorformen eines Umweltbewusstseins erkennen lassen; und musikpädagogische Arbeiten untersuchen, wie ökologische Themen in musikalisch-kulturellen Bildungsprozessen vermittelt werden können – sei es durch projektbasiertes Lernen, Kompositionsaufträge zu Umweltthemen oder durch die Reflexion des eigenen Hörens im Spannungsfeld von Klang und Umwelt.5
Aus der Vielgestaltigkeit der Ansätze ergeben sich nicht nur Forschungs-, sondern auch Lehrpotenziale. Und so vergrößert sich stetig der Kreis derjenigen, die das Thema im Bereich der Musikwissenschaft und Musikpädagogik bereits in Lehrveranstaltungen behandelt haben oder ein Interesse daran zeigen. Das Thema „Musik und Klimawandel“ bietet eine belastbare Schnittstelle zwischen Musikwissenschaft und Musikpädagogik: Denn wo Musik ökologisch reflektiert, Klang als Erkenntnismedium genutzt und kulturelle Praktiken im Kontext des Klimawandels evaluiert werden, sind die Ergebnisse nicht nur analytisch oder historisch relevant, sondern auch pädagogisch anschlussfähig. Von Seiten der Musikwissenschaft rückt hier die Frage in den Fokus, wie die Klimakrise als Thema in der universitären Lehre verankert werden kann – inhaltlich, aber auch methodisch-didaktisch.
Die damit verbundene Frage nach geeigneten Vermittlungsformaten, die Studierende zur kritisch-reflexiven Auseinandersetzung mit ökologischen Diskursen in musikalischen Kontexten befähigen sollen, überschneidet sich mit zentralen Kompetenzfeldern der Musikpädagogik. Diese Überschneidungen eröffnen nicht nur Potenziale für die hochschulische Lehre, sondern lassen sich auch in der interdisziplinären Forschung produktiv machen – etwa in der Diskussion und empirischen Untersuchung von Lerninhalten, Kompetenzprofilen sowie methodisch-didaktischen Zugängen wie projektorientierten, performativen oder fächerübergreifenden Formaten.
Welche Rolle kann Musik dabei spielen, Umweltbewusstsein zu fördern? Wie lassen sich ökologische Themen im Konzertsaal oder in Unterrichtssituationen verhandeln? Und wie nachhaltig ist der Kulturbetrieb selbst?
In den folgenden Ausführungen haben wir als MusikwissenschaftlerInnen die eigenen Erfahrungen aus unseren Lehrveranstaltungen zusammengetragen: Wir haben das Thema „Musik und Klimawandel“ an verschiedenen Musikhochschulen und Universitäten in Seminaren und Workshops gelehrt, als einsemestrigen Kurs, aber auch als Impulsvortrag und in Kolloquien (u. a. bei der ersten Bundesfachschaftstagung Musikwissenschaft im Jahr 2022 an der Folkwang Universität der Künste Essen). Der folgende Text soll eine Reflexion der eigenen Erfahrungen darstellen sowie die in diesem Zuge erfahrenen Anknüpfungspunkte zwischen den Fächern unterstreichen und Ausblicke für eine weitere thematische Verknüpfung in Lehre und Forschung geben.
Potenziale der Lehre
Die akademische Lehre in BA- und MA-Studiengängen an Musikhochschulen und Universitäten könnte in pädagogisch-didaktischer Hinsicht als eine Art fehlendes Zwischenglied bezeichnet werden: Informationen über den Klimawandel dürften aus dem Schulunterricht bekannt sein, aber Nachhaltigkeit wird auch im Kulturbetrieb zu einer immer wichtigeren Leitkategorie – bei Fragen der Mobilität im Konzertwesen, der Ressourcenverwendung in Produktionsprozessen oder auch der Relevanz von Musik für gesellschaftliche Transformationsprozesse. Nachhaltigkeitsaspekte werden mit beinahe zwingender Notwendigkeit zum Berufsbild aller aktuellen Musikstudierenden gehören, ob in der schulischen und musikschulischen Lehre, in der Dramaturgie, im Konzertmanagement oder in der Verlags- und Medienarbeit. Gleichzeitig öffnet das Thema wichtige Räume für Wertebildung und Haltungsentwicklung, entsteht doch in der Auseinandersetzung mit ökologischen Krisen und deren kultureller Verarbeitung ein Erfahrungspotenzial, in dem Fragen nach Verantwortung, Zukunftsgestaltung und ethischen Prämissen des eigenen Tuns konkret verhandelt werden können. Studierende reflektieren nicht nur über Musik, sondern über ihre eigene Position in einer sich wandelnden Welt.
1 vgl. als Überblicksdarstellung Allen, Aaron S./Dawe, Kevin (Hg.): Current Directions in Ecomusicology, New York/London 2016.
2 vgl. insbesondere Allen, Aaron S.: „Ecomusicology: Ecocriticism and Musicology“, in: Journal of the American Musicological Society, 64/2, 2011, S. 391-394, hier: S. 392 – „Is musicology part of the problem or part of the solution?“.
3 vgl. beispielhaft Gibson, Chris: „A sound track to ecological crisis: tracing guitars all the way back to the tree“, in: Popular Music, 38/2, 2019, S. 183-203; Brennan, Matt/Devine, Kyle: „The cost of music“, in: Popular Music, 39/1, 2020, S. 43-65.
4 vgl. hierzu: Nauck, Gisela u. a. (Hg.): Klima – Klang – Transformation. Neue Diskurs- und Erfahrungsräume zwischen Kunst und Wissenschaft, Bielefeld (in Vorb.).
5 siehe weiterführend die Beiträge in Beimdieke, Sara/ Caskel, Julian (Hg.): Musik und Klimawandel. Künstlerisches Handeln in Krisenzeiten, Bielefeld 2025
Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2025.