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Berg, Ivo I.

Ear cleaning

Über das lustvolle Hören im Soundwalk zu einer nachhaltigen Erfahrung der Umwelt

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 6/2025 , Seite 26

Geräuschen und Lärm fühlen wir uns im Alltag oft schutzlos ausgeliefert. Wie können wir zu einer bewussteren Form des Hörens finden und unsere Lebenswelt akustisch gestalten lernen? Im Folgenden möchte ich ausgehend von der Hörerziehung Murray Schafers einige Anregungen zur Praxis des Soundwalks geben.

Der Ablauf eines Soundwalks ist denkbar einfach: Gemeinsam bewegt sich eine Gruppe durch die unmittelbare Umgebung, sei es in der Stadt, in der Natur, unter freiem Himmel oder in Innenräumen. Die Teilnehmenden legen stumm eine gewisse Strecke zurück und konzentrieren sich ausschließlich auf das Hören. Den Rahmen bilden lediglich der gemeinsame Beginn sowie das Ende des Gangs: Indem entweder ein zuvor vereinbarter Parcours durchlaufen wurde oder eine führende Person den Weg beendet.
Das Ziel des Soundwalks besteht zunächst einmal darin, der Klangcharakteristik einer bestimmten Umgebung gewahr zu werden, sie als „Soundscape“, als „Klanglandschaft“ wahrzunehmen.1 So banal dieses Anliegen klingen mag, so anspruchsvoll kann es in seiner Umsetzung sein. Möglicherweise stellt sich nach einem ersten Versuch sogar Ernüchterung und Ratlosigkeit ein: Wenn es im Gehen zu keinem besonderen Erlebnis kommt oder die Erwartung an eine musikalische Erfahrung enttäuscht wird; wenn schlicht kein Unterschied zu einem normalen Spaziergang erkennbar ist und das Ansinnen des Soundwalks damit in der Tat banal wirkt.
Offenbar ist eine besondere Einstellung zum Hören gefragt – also eine Art des Hörens, die sich von der alltäglichen Wahrnehmung absetzt und gegebenenfalls vorbereitet und eingeübt werden muss. Was also steckt hinter der Erfahrung eines Soundscapes?

Alles notieren, was man hört

Als Vorbereitung auf einen Soundwalk eignen sich viele der Übungen, die der kanadische Klangforscher und Soundpionier Murray Schafer in seinem Klassiker A sound educa­tion zusammengestellt hat.2 In der leicht augenzwinkernden Übersetzung des Titels mit Anstiftung zum Hören klingt bereits an, dass es sich mit der Konzentration allein auf das Hören um ein fast geheimes, geradezu subversives Unterfangen mit Suchtpotenzial handeln kann.
Die ersten Übungen Schafers basieren auf der Anfertigung von kurzen Hörprotokollen. Als Gruppe versammelt man sich dazu an einem bestimmten Ort, beispielsweise an einer belebten Straßenkreuzung, jeweils ausgestattet mit einer Schreibunterlage, Papier und Stift. In Intervallen von jeweils einigen Minuten Länge widmet sich die Gruppe nun einfachen Höraufgaben, deren Ergebnisse jeweils individuell notiert und anschließend gemeinsam besprochen werden. Eine kleine Auswahl solcher Aufgaben reicht aus:3

1. Durchgang – Alles notieren, was man hört.
2. Durchgang – Alles Gehörte notieren, dabei jedoch die Geräusche und Klänge nach ihrem Ursprung sortieren: Handelt es sich um einen Klang der Natur (N), um einen menschlichen Klang (M) oder um einen technischen Klang (T)? Welchen Klang habe ich selbst verursacht (x)? Welche Klänge werden als angenehm, welche als unangenehm empfunden?
3. Durchgang – Das Gehörte im Hinblick auf die Zeit sortieren: dauerhafte Klänge (D), sich wiederholende Klänge (W), einmalige Klänge (E).
4. Durchgang – Einen mittelgroßen Kreis auf das Papier zeichnen und sodann alle Klänge in ihrer relativen Entfernung zum Mittelpunkt des Kreises eintragen. Der Mittelpunkt symbolisiert die hörende Person.

Wichtig an diesen Übungen sind die gemeinsame Konzentration und der anschließende Austausch in der Gruppe. Gerade die Aufforderung, schriftlich zu protokollieren, führt zu Verbindlichkeit und kann ein suchend erkundendes Hören hervorrufen, das sich mitunter zu einem Wettbewerb der originellsten Hör-Fundstücke entwickelt. Im anschließenden Gespräch wird klar, so Schafer: „[D]as Hören ist ein sehr individueller Vorgang. Die Listen werden verschieden lang sein, aber: Alle Antworten sind richtig.“4

1 Schafer, R. Murray: Anstiftung zum Hören. Hundert Übungen zum Hören und Klänge Machen, Wiesbaden 2011, S. 13 (Original: R. Murray Schafer: A Sound Education, Indian River 1992).
2 Das Buch Schafers besteht in einer Zusammenstellung von 100 Hörübungen für Gruppen, die er auch als „ear cleaning“ (ebd., S. 16) bezeichnet. In den einzelnen Anleitungen sind immer wieder auch didaktische Kommentare Schafers eingestreut. Ich stelle in diesem Artikel meine eigene Erfahrung mit dem Material vor und kommentiere aus meiner persönlichen Perspektive. Viele Anregungen habe ich aus Soundwalks mit dem Ber­liner Komponisten und Klangforscher Thomas Gerwin erhalten; www.thomasgerwin.de (Stand: 15.9.2025).
3 vgl. Schafer, S. 19-21.
4 ebd., S. 19 (Hervorhebung im Original).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2025.

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