Thielemann, Kristin

Voll entspannt

Ruhe und Konzentration für Ihren Musikunterricht, mit Download-Material

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2025
erschienen in: üben & musizieren 6/2025 , Seite 58

„Der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe mit Spitzensportlern und Gehbehinderten bei Nebel durch unwegsames Gelände in nordsüdlicher Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune und möglichst gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.“ Mit diesem netten Zitat von Wolf Müller-Limmroth ist das Berufsbild des Lehrers trefflich umschreiben. Dass Lehrkräfte zudem stets Ruhe und Konzentra­tion ausstrahlen und diese auch zu vermitteln imstande sein sollten, weiß Kristin Thielemann, Autorin des Praxisbandes Voll entspannt, sehr genau.
Auf rund 100 Seiten sowie mit weiterführendem Download-Material versteht die Autorin, die sich bereits mit anderen ausgezeichneten Publikationen wie ­Digital jetzt! sowie dem Podcast „Voll motiviert“ einen guten Namen gemacht hat, sehr gut lesbar, dabei konzentriert und gründlich in das Thema einzuführen und die Leserschaft mit zahlreichen Ideen und Praxistipps zu versorgen.
Voll entspannt wendet sich zuerst an Lehrkräfte der Elementaren Musikerziehung, aber auch Instrumental- und Vokallehrkräfte, ErzieherInnen und Eltern können diesem Buch wertvolle Ideen entnehmen. Es eröffnet eine Welt der Entspannung und Konzentration durch Musik. Mitmachmusiken reihen sich an Klanggeschichten, Entspannungstechniken und manches mehr bieten Möglichkeiten der Entschleunigung, die im oft hektischen Kinderalltag mitunter sehr rar sind.
Kristin Thielemann gliedert ihr Buch in vier Kapitel. Im ersten geht es um An- und Entspannung. Sie beschreibt den bereits bei Kindern vorhandenen Stress durch soziale Medien, dem die (Musik-)Pädagogik eine gute Medienkompetenz, einen reflektierten Umgang mit sozialen Medien und digitalen Geräten entgegenstellen muss. Der Pomodoro-Technik, eine Zeitmanagement-Methode, bei der kurzen Arbeitsphasen regelmäßige Pausen folgen, widmet Thielemann einen Infokasten, geht auf den einige Jahre lang gepriesenen (und später verworfenen) „Mozart-Effekt“ ein, beschreibt die positive Wirkung von Musik auf Schlafen und Lernen und die Notwendigkeit, im Unterricht Musik mit Entspannungstechniken zu kombinieren. Vieles, was Thielemann hier beschreibt, ist nicht wirklich neu. Doch versteht sie es bestens, auf knappem Raum sehr gebündelt Material zusammenzustellen und so den PädagogInnen gutes Einstiegsmate­rial an die Hand zu geben.
Gefüllt mit Praxistipps und guten Erfahrungsberichten ist auch das Folgekapitel, das sich der Frage widmet, wie man aus unruhigen Kindergruppen (Thielemann beschreibt sie als „Hummelherden“) echte Teams macht. Lehrkräften, die stressauslösenden Momenten im Unterricht ausgesetzt sind, empfiehlt sie, sich selbst zu fragen, ob das Gegenüber für einen selbst ein Geschenk ist oder eine Herausforderung, an der man wachsen kann. Klare Regeln, eine gute Unterrichtsroutine sowie kollegiales Feedback durch Hospitation können genauso zu einem entspannten Unterricht beitragen wie das aktive Einbeziehen der Kinder in Unterrichtssequenzen statt bloßer Belehrung. Pädagogik auf Augenhöhe zu den Kindern statt Furcht der Kinder vor der Lehrkraft helfe definitiv, so die Autorin, bei der Beruhigung einer Kindergruppe.
Über das kurze Kapitel zum Thema Glück in der Musik – eingangs findet sich das wunderbare Seneca-Zitat: „Glück ist, was passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft“ – geht es weiter zu Entspannungstechniken mit Musik. Hier geht es um Themen wie Muskelentspannung und „Schulterfahrstuhl“, Thielemann beschreibt die Arbeit mit Klangschalen und Zymbeln, verweist auf das Besondere der Glockenklänge, das Nachlauschen von Tönen und das ritua­lisierende Verbinden von Klang mit bestimmten Handlungen.
Das ausgedehnte Finale thematisiert Geschichten und Musik zum Ruhigwerden, Malen zu klassischer Musik, Klanggeschichten und ruhige Bewegungsspiele. Die zahlreichen Musikbeispiele bieten keine wirklichen Überraschungen: Thielemann nennt Erik Saties erste Gymnopédie, Prokofjews Peter und der Wolf, den Karneval der Tiere von Camille Saint-Saëns, Die Moldau, Vivaldis Vier Jahreszeiten und manches mehr. Johann Sebas­tian Bachs Goldberg-Variationen überraschen an dieser Stelle ein wenig. Es sei die Frage aufgeworfen, ob dieser großartige Varia­tionszyklus, der den schlaflosen Grafen Keyserlingk des Nachts unterhielt, tatsächlich zur Entspannung, zum Einschlafen gedacht war. Abgesehen von der ruhigen Aria, die Eingang und Schluss bildet, ist Bachs Werk doch eher packend und aufrüttelnd, eben nicht beruhigend.
Voll entspannt ist ein sehr guter Ratgeber und ein mit zahlreichen Downloads angereicherter, stets hilfreicher Ideenspender einer erfahrenen Praktikerin für die tägliche musikpädagogische Praxis, wenn es um Entschleunigung und Bewältigung von herausfordernden Lernsituationen geht. Kristin Thielemann hat einen flüssigen Schreibstil, die Anordnung der einzelnen Kapitel, Themen und Tipp-Kisten ist farblich sortiert, vorbildlich übersichtlich und macht einen schnellen Zugriff leicht.
Kristin Thielemanns persönliche Ansprache an die Leserschaft zum Schluss ihres Buchs, ihr Dankeschön an die Menschen, die sich tagtäglich mit ganzer Kraft für die musikalische Bildung engagieren, gekoppelt mit dem Aufruf, Fachleute mögen sich vernetzen und die Wichtigkeit des Musikunterrichts betonen, um so der Reduzierung von Musik in vielen Institutionen entgegenzuwirken, ist gut und tut gut.
Uwe Sandvoß

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