Zimmermann, Bernd Alois

Drei frühe Klavierstücke

Erstveröffentlichung

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2025
erschienen in: üben & musizieren 6/2025 , Seite 61

Das Œuvre für Klavier solo von Bernd Alois Zimmermann (1918-1970) ist mit den Zyklen Extemporale (1943), Capriccio (1947), Enchiridion (1952) und Konfigurationen (1956) rasch umschrieben, meist kurze Stücke von zusammen etwa einer guten Stunde Dauer. Der Komponist des Klaviertrios Présence, der Oper Die Soldaten, des Requiems für einen jungen Dichter oder der „Ekklesiastischen Aktion“ Ich wandte mich sah allenfalls in der Besetzung mit zwei Klavieren eine größere kompositorische Herausforderung, wie die durchaus Maßstäbe setzenden, jeweils knapp 20-minütigen Kompositionen Perspektiven (1955) und Monologe (1964) beweisen.
Eine Neuerscheinung wie die vorliegende aus Zimmermanns Nachlass wird die Aufmerksamkeit nicht nur derjenigen PianistInnen auf sich ziehen, die die manuellen und rhythmischen Schwierigkeiten der zweiklavierigen Werke oder auch den Klavierpart etwa der Violinsonate (1950) kennen und schätzen. Diese drei „frühen“ Stücke für Klavier solo stammen aus dem Jahr 1940 und markieren damit den abrupten Übergang vom Kölner Studenten der Schulmusik und Komposition zum einberufenen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, eine Rolle, aus der er erst 1942 aufgrund einer Kampfmittelvergiftung entlassen wurde. Zimmermann gruppierte während der Kriegszeit etliche um 1940 entstandenen Klavierstücke in mehreren Revisionen unter verschiedenen Titeln um; das erwähnte fünfteilige Extemporale von 1943 enthält das jetzt vorliegende, zwischen G-Dur und D-Dur schwankende „Scherzettino“, das c-Moll-Intermezzo und das g-Moll-Fugato allerdings nicht – vermutlich hauptsächlich, weil der Komponist inzwischen andere Verwendung für diese Stücke in kammermusikalischer bzw. sinfonischer Gewandung gefunden hatte.
Die klavieristischen Originalfassungen, die jetzt erstmals in einer gedruckten Ausgabe zugänglich sind, wurden bereits 1998 von der Kölner Zimmermann-Spezialistin Tiny Wirtz (1923-2023) in Berlin uraufgeführt. „Scherzettino, Intermezzo und Fugato“, wie man diese kleine zehnminütige Suite griffiger titulieren könnte, zeigen einen hochtalentierten, innerhalb der traditionellen Tonalität sehr freizügig harmonisierenden, in den 6/8-Ecksätzen mit lustvoll-vollgriffiger Impulsivität agierenden und auch im langsamen 3/8-Mittelsatz („langsam und schwingend, tänzerisch“) ganz auf tänzerische Rhythmik setzenden 22-jährigen Komponisten. Von der dissonanten Schroffheit des Reifestils ist hier nur wenig zu ahnen – man vergesse nicht, dass junge deutsche Komponisten damals durch die NS-Kulturpolitik von neueren und neuesten Musikentwicklungen weitgehend abgeschnitten waren; sie konnten erst nach Kriegsende ihre Kenntnisse und Präferenzen auf aktuellen Stand bringen.
Die drei Stücke verfehlen im Konzert sicher nicht ihre Wirkung; das Intermezzo ist zudem im Bereich des Mittelstufen-Klavier­unterrichts durchaus als Zimmermann-Einführung denkbar.
Rainer Klaas

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