Wolters, Burkhard
12 Konzertetüden op. 41
für Gitarre
Burkhard Wolters ist ein virtuoser akustischer Crossover-Gitarrist zwischen Klassik und Popular Guitar Styles. Auch seine zwölf Konzertetüden sind keine leichte Kost. Für technisch nicht ausgelastete GitarristInnen, die Villa-Lobos-Etüden jeden Morgen vor dem Frühstück spielen, findet sich hier ein reichhaltiges Betätigungsfeld. Da rauschen die Arpeggien, wird auf zwei Saiten getrillert, werden künstliche Flageoletts mit Dreiklangsbrechungen und Tonleitern mit Bindungen kombiniert, verwandeln sich Melodien in Tremoli. Das ist sehr wirkungsvoll und auch die Abfolge der zwölf Stücke ist durchaus abwechslungsreich.
Aber neu ist das alles nicht. Wie innovativ sind dagegen z. B. die nur wenige Jahre vorher entstandenen Etüden des etwa gleichaltrigen Il-Ryun Chung, der neue Spieltechniken für Gitarre entwickelt hat bzw. mehrere zu einer neuen Klangfarbe kombiniert: das Spiel auf beiden Seiten der Saite, Kombinationen von Spiel- und Klopftechnik, wobei sich die Spielhand über dem Steg befindet, um auch rechts davon auf die Decke zu klopfen, oder ein abwechselnder Auf- und Abschlag mit nur einem oder auch mit zwei Fingern, die zu einem Block geformt werden.
Auch musikalisch kann Wolters nicht überzeugen. Seine Musiksprache ist traditionell. Zudem schränkt er sich selbst ein, indem er kompositorische Strukturen stark an den altbekannten idiomatischen Möglichkeiten seines Instruments orientiert. Das Gut-in-der-Hand-Liegen bestimmt die Stücke und bevorzugt den spieltechnischen Aspekt vor dem musikalischen: Bindungen abwärts führen immer wieder auf leere Saiten, Dreiklangsbrechungen werden um leere Saiten herum gelegt. Seine Etüde Nr. 2 mit ihren Arpeggien klingt wie eine Improvisation auf der Grundlage von Leo Brouwers Etüde Nr. 6, nur erreicht sie nicht dessen Stringenz.
Wer vertrackte Dreiklangsbrechungen à la Carlevaro geübt hat, kann mit Wolters Etüde Nr. 11 weitermachen. Für eine Konzertetüde aber, die nicht nur die Spielfähigkeit steigern, sondern auch vor Publikum präsentiert werden soll, ist die musikalische Substanz arg dünn und die Ausarbeitung zu schematisch. Diesen Zyklus als „neuen Meilenstein im Repertoire der Konzertgitarre“ zu bezeichnen, wie es der Herausgeber Gerhard Reichenbach, der auch die Uraufführung 2012 spielte, im Vorwort schreibt, wird den Werken nicht gerecht. Die eine oder andere Etüde kann ihren Weg in das Zugabenrepertoire von GitarristInnen finden.
Das spieltechnische Niveau ist in der oberen Mittelstufe anzusiedeln und reicht teilweise bis in die Oberstufe. Gerade auf diesem Level ist die Konkurrenz groß an Stücken, bei denen sich der spieltechnische Aufwand und der musikalische Gehalt besser die Waage halten.
Jörg Jewanski