Gariboldi, Guiseppe
20 petites Etudes für Flöte
hg. von Stefan Albrecht
Gariboldis Etüden, Kinder des pädagogisch ambitionierten 19. Jahrhunderts, erfüllen auch heute noch ihren Zweck. Dem Komponisten gelingt es (immer wieder), seine Ideen so auf den Punkt bzw. auf eine Seite zu bringen, dass überschaubare Aufgaben entstehen. Abwechslungsreiche thematische Einfälle verbunden mit sorgfältig dosiertem technischen und musikalischen Anspruch: Nach diesem Rezept schrieb er eine ganze Anzahl von Etüdenheften.
Die “20 petites Etudes” folgen von der Opuszahl 132 her unmittelbar den “Etudes mignonnes” nach, vom Entstehungsdatum her ist es mit 1877 und 1876 umgekehrt. Sie sind etwas anspruchsvoller als diese, auch in der Tonartenwahl (Dur bis vier Vorzeichen, Moll bis drei), schwierigere Griffverbindungen in der dritten Oktave (bis a”’) werden aber vermieden. Dynamik, Artikulation und Phrasierung im Sinne von Flexibilität bei der Auswahl von Atemstellen sind als musikalische Gestaltungsmöglichkeiten zu erarbeiten.
Der Herausgeber folgt im Wesentlichen der von Jan Merry 1952 bei Leduc betreuten Ausgabe, verkürzt aber die dort häufig zu findenden romantisch-langen Legato-Bögen zugunsten einer kleingliedrigen Artikulation. So lässt sich manches, wie z. B. die E-Dur-Etüde (Scherzo), charakteristischer gestalten. Passend, dass eine 1866 in der Revue et Gazette musicale erschienene Rezension gerade diese besondere Fähigkeit Gariboldis anspricht: „Er artikuliert mit einer Sauberkeit, wovon er einen glänzenden Beweis in seiner Fantasie zu L’Africain gegeben hat.“ Diese Fantasie für Flöte solo, damals übrigens auch bei Schott erschienen, war eines der Paradestücke bei seinen Konzertauftritten in Paris und vermutlich auch bei den Konzertreisen, die er in den 1850er und 60er Jahren absolvierte.
Gelobt wurde Gariboldi nicht nur wegen der technischen Beherrschung seines Instruments, sondern mehr noch wegen seiner dem Gesang nachempfundenen tonlichen Qualitäten und seiner Intonationssicherheit, wegen seines geschmackvollen Spiels voll Schwung und Charme. Diese Eigenschaften – ein Rezensent nennt es treffend die „poetische Seite seines Talents“ – zeichnen auch seine Etüden aus, zumindest die musikalisch konzipierten; denn um für alle Ansprüche einer systematischen flötistischen Ausbildung Material zu bieten, schrieb Gariboldi auch rein technisch orientierte Studien.
Was das Urteil der Nachwelt betrifft, so wurde dem Komponisten Gariboldi die große Zahl der von ihm verfertigten Einrichtungen von populären Musikstücken zum Verhängnis. Seine Etüden sind aber mehr als nur Dokumente einer altmodischen Art Flöte spielen zu lernen, und in dieser bis auf ein paar kleine Druckfehler vorbildlichen Ausgabe, die darüber hinaus vielfältige Arbeitshilfen und -anregungen gibt, werden sie hoffentlich viel Anklang finden.
Ursula Pesek