70 Rheinsberger ­Solfeggien

Ein Flötenbuch für Friedrich II., hg. von Ulrike Liedtke

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Friedrich Hofmeister, Leipzig 2012
erschienen in: üben & musizieren 6/2012 , Seite 62

Kein Zweifel – das Friedrich-Jahr 2012 ist auch ein Flöten-Jahr. Denn die Flöte war das Lieblingsinstrument des musizierenden und komponierenden Königs. In seiner Rheinsberger Zeit (1736-1740) entstanden unter anderem die 70 Solfeggien, die er auch später in Sanssouci fast täglich zum Aufwärmen spielte.
Anlässlich seines 300. Geburtstags am 24. Januar 2012 sind zahlreiche Komponistinnen und Komponisten der Bitte der Musikakademie Rheinsberg nachgekommen, ein Solfeggio für Flöte solo zu komponieren. Das Ergebnis liegt nun vor: ein umfangreiches und vielfältiges Flötenbuch, in dem exakt 70 zeit­genössische musikalische Geburtstagsgrüße an Friedrich den Großen versammelt sind.
Die Sammlung umfasst Solfeggien für Flöte, Piccoloflöte, Alt- und Bassflöte, Alt- und Sopranblockflöte sowie Traversflöte; meist wurde jedoch die Große Flöte bedacht. Die Stücke sind sehr unterschiedlich in Faktur, Umfang (wenige Zeilen bis vier Seiten) und Schwierigkeitsgrad. Viele sind nur für Fortgeschrittene geeignet, einige könnten aber auch gut in der Mittelstufe eingesetzt werden.
Die Liste der vertretenen KomponistInnen ist beeindruckend: Violeta Dinescu, Georg Katzer, Steffen Schleiermacher, Max E. Keller und Charlotte Seither zum Beispiel. Aber auch der Nachwuchs kommt nicht zu kurz. So haben etwa auch zwei 17-jährige „Jugend komponiert“-Preisträger einen Beitrag geleistet.
Der Band ist ungemein abwechslungsreich, weil so viele KomponistInnen aus verschiedenen Generationen mitgewirkt und unterschiedliche Kompositionsverfahren und Konzepte angewendet haben. Diverse Male wird auf thematisches Material der ursprünglichen Solfeggien zurückgegriffen. Ausgehend von zwei originalen Takten entwickelt sich zum Beispiel quasi nahtlos ein zeitgenössisches Stück. Ferner gibt es Variationen über bestimmte Solfeggien von Friedrich (Stichwort: versteckte Mehrstimmigkeit), eine Zitatkomposition mit Auszügen aus Friedrichs Versuch einer Anweisung oder eine zwölftönige Variante des Themas aus Bachs Musikalischem Opfer, das Friedrich II zugeschrieben wird. Andere Stücke integrieren friderizianische Wortspiele oder sind assoziativ zu verstehen, etwa als ­humoristisches Charakterstück oder Stimmungsbild mit onomatopoetischen Elementen. Wieder andere kommen ohne direkte Bezugnahme aus. Einige Stücke sind ganz traditionell notiert, doch sehr häufig werden – in mehr oder weniger großem Ausmaß – auch neue Spieltechniken verwendet.
Der Band wurde sorgfältig ediert. Der Text ist gut lesbar und be­inhaltet je nach Werk auch Anmerkungen zur Interpretation und spieltechnische Erklärungen. Kurzbiografien aller KomponistInnen runden die Sammlung ab. Alles in allem ist dieser Band eine wahre Fundgrube zeitgenössischer Stücke für Flöte solo und ein gelungenes Exerzitium modernen Flötenspiels. Ein Muss für alle Flötistinnen und Flötisten.
Andrea Welte