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Brandstätter, Ursula

Ästhetische Transformationen

Überlegungen zum Wechselspiel zwischen den Künsten

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2024 , Seite 06

Einen Text vertonen. Musik in ein Bild übersetzen. Ein Bild in eine Choreografie transformieren. Musik zu einer Bewegung entwickeln. Ein Musikstück und ein Bild vergleichen. Musik mit einem Text versehen. Ein Bild einem Musik­stück zuordnen. Über Musik sprechen. Zu Musik tanzen. Zu Musik malen… Die Möglich­keiten, verschiedene künstlerische Ausdrucksformen aufeinander zu beziehen, sind vielfältig. Was aber passiert, wenn zwei oder mehrere Ausdrucksformen aufeinanderstoßen? Welche Prozesse werden durch die Begegnung ausgelöst? Wie können diese theoretisch gefasst werden?

Der folgende Beitrag versucht, das künstlerische und didaktische Potenzial von ästhetischen Transformationsprozessen auszuloten, indem ausgewählte „Dialoge“ zwischen Kunstformen genauer beleuchtet und analysiert werden: Dialoge zwischen Musik und Körper, zwischen Musik und Bild sowie zwischen Sprache und Bild. Dabei werden exemp­larisch drei theoretische Perspektiven ins Zentrum gerückt: die erkenntnistheoretische Thematik der Mimesis, des Sich-ähnlich-Machens als besondere Zugangsweise zur Welt; die wahrnehmungspsychologische Perspektive am Beispiel eines Vergleichs von Hören und Sehen; und schließlich die zeichentheoretische Perspektive, die das Sagen und Zeigen als zwei grundlegende Umgangsweisen mit der Welt erläutert.
Im Sinne einer Zusammenfassung werde ich aus diesen Überlegungen Aspekte einer Theorie der ästhetischen Transformation ableiten, wobei der Fokus darauf liegen wird zu zeigen, welches künstlerische und didaktische Potenzial Übertragungen, Bezugnahmen, Verwandlungen und Übersetzungen zwischen den Künsten in sich bergen. Zuvor jedoch ein kurzer Blick auf die historische Dimension der Thematik.

Zur Beziehung der ­Künste aus historischer Perspektive

Seit der Antike stellt die Untersuchung der Beziehungen zwischen den Künsten sowohl in philosophischer als auch in künstlerischer Perspektive ein wichtiges Thema dar. Betrachtet man den Diskurs über die Jahrhunderte westlicher Kunsttheorie, so kann man zwei grundsätzliche Tendenzen feststellen: Entweder wird im Zeichen der Einheit der Künste das Gemeinsame und Verbindende ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt oder der Blick wird auf das Trennende gelenkt, um die Spezifika und die Unterschiedlichkeit der Künste zu betonen. Bezugnahme aufeinander oder Abgrenzung prägen also das Nachdenken über die Beziehungen zwischen den verschiedenen künstlerischen Disziplinen.
Lange Zeit stand der Vergleich der Künste im Zeichen des Wettstreits. Welche der Kunstformen vermag es am besten, die Welt aus künstlerischer Perspektive zu zeigen? Welche steht an der Spitze einer vermeintlichen Hierarchie der Künste? Je nach Interessen­lage wurden diese Fragen unterschiedlich be­antwortet. „Ut pictura poesis“ – wie ein Bild sei das Gedicht, so versucht der römische Dichter Horaz 15 v. Chr. die Vorrangstellung der Malerei in Worte zu fassen, an der sich die Dichtkunst zu orientieren habe. Auch im berühmten „Paragone“ der Renaissance wurde heftig über die Vormachtstellung der Künste gestritten. Damals standen vor allem wertende Abwägungen zwischen Malerei und Bildhauerei im Zentrum.
Der Vergleich der Künste führte jedenfalls zur Analyse ihrer jeweiligen Besonderheiten. Ein paradigmatisches Beispiel dafür stellt etwa die Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie aus dem Jahr 1766 von Gotthold Ephraim Lessing dar, in der er die grundlegenden Unterschiede zwischen Malerei und Dichtung herausarbeitet.
Im aktuellen Diskurs spielt die Frage einer wertenden Systematisierung keine Rolle mehr. Angesichts von künstlerischen Tendenzen, die die Gattungsgrenzen zunehmend in Frage stellen – man denke etwa an Installationen und Performances, die sich nicht mehr einzelnen künstlerischen Ausdrucksformen zuordnen lassen –, gerät die Frage in den Fokus, wie wechselseitige Austauschprozesse möglicherweise zur Entwicklung neuer hybrider Kunstformen führen. Die zuvor angesprochene Unterscheidung zwischen der Einheit der Künste einerseits und der Spezifizierung und Spezialisierung andererseits wird zugunsten einer Verschränkung beider Blickwinkel beantwortet.1

Fokus 1: Sich ähnlich machen

Mimetischer Zugang zur Welt – am Beispiel Musik und Körper
Die beiden Medien Musik und Körper verbindet eine lange, zum Teil auch gemeinsame Geschichte. Zu denken ist etwa an das Zusammenwirken von Musik und Körper im Tanz oder überhaupt an die Verankerung des Musizierens im Körper. In diesen Bereich fallen aber auch begleitende gestische Bewegungen wie beim Dirigieren oder methodische Impulse, die zur Vertiefung des Verständnisses eines Musikstücks oder auch nur einer musikalischen Phrase den körper­lichen Nachvollzug anregen: sei es in Form einer Geste, einer Bewegungsfolge oder einer gesamten Choreografie.
Die Umsetzung musikalischer Phänomene in körperlich spür- und sichtbare Gestaltungen beruht darauf, dass wir uns in die Musik einfühlen, dass wir sie gewissermaßen nachvollziehen, indem wir uns ihr auf körperlicher Ebene ähnlich machen. Diese Art des Umgangs mit der Welt kann als mimetischer, also auf Mimesis, vereinfacht gesagt als ein auf Nachahmung beruhender Zugang charakterisiert werden. Wir versuchen, die Musik mit Hilfe mimetischer Einfühlung zu verstehen, in dem wir uns und unseren Körper der Musik ähnlich machen.

1 vgl. Bertram, Georg W./Deines, Stefan/Feige, Daniel Martin (Hg.): Die Kunst und die Künste. Ein Kompen­dium zur Kunsttheorie der Gegenwart, Berlin 2021.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2024.