© Tonhalle Düsseldorf / Susanne Diesner

Bildstein, Käthe

Alle dafür mit vollem Einsatz

Die Orchesterpatenschaft „tutti pro“ als Qualitätssiegel für eine gewinnbringende Nachwuchsarbeit

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 6/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 04

Jugendorchester und Berufsorchester zusammenzubringen: Das ist die Idee der Orchesterpatenschaften „tutti pro“, ei­ner gemeinsamen Initiative der Jeu­nesses Musicales Deutschland (JMD), der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) und des Verbands deutscher Musikschulen (VdM).

„tutti pro“ hat sich als Erfolgsmodell be­währt und wird in der Öffentlichkeit und seitens der Politik als Qualitätssiegel für eine gewinnbringende Nachwuchsarbeit wahrgenommen. Seit 2004 wurden bundesweit über 50 Patenschaften geschlossen, die von den beteiligten Ensembles in unterschiedlichen Formen und nach eigenen Ideen individuell gestaltet werden.
„Alle sind dafür“ – so ließe sich der Name der Initiative salopp übersetzen. In der Tat können Orchesterpatenschaften nur entstehen und Bestand haben, wenn alle Beteiligten dafür sind – Musiker, Dirigenten, Intendanten und Manager beider Orchester. Denn „tutti pro“ bedeutet nicht nur „volles Orchester“, sondern auch „voller Einsatz“.
In welcher Form sie zusammen arbeiten und spielen, bestimmen die beteiligten Partner selbst. Denkbar ist, dass die jungen Musikerinnen und Musiker eine Probe ­ihres Patenorchesters besuchen, ein Profimusiker in Stimm- und Satzproben regelmäßig mit den jungen Musikerinnen und Musikern arbeitet oder das Profiorchester mit Notenmaterial aushilft. Konzertprojekte, die aus der gemeinsamen Arbeit entstehen, sind eine wunderbare Möglichkeit für Jugendorchester, sich große Werke zu erschließen, die alleine vielleicht nicht zu schaffen wären. Umgekehrt finden die Berufsorchester in den jugendlichen Orchestermitgliedern begeisterungsfähige Fans und ein beständig (nach-)wachsendes Stammpublikum mit Zukunft. Die im Rahmen einer „tutti pro“-Patenschaft veranstalteten Kinder- und Familienkonzerte bedeuten für das Profiorchester eine neue Attraktivität, Imagegewinn und zusätzliche Motivation.

Michael Stille, Intendant der Stuttgarter Philharmoniker, über das Engagement seines Orchesters bei „tutti pro“: „Wenn wir unsere Musiktradition weitergeben wollen, müssen wir Jugendlichen entsprechende Angebote machen.“* Für ihn sei es faszinierend zu erleben, wie die Jugendlichen das hohe Arbeitstempo in den wenigen gemeinsamen Proben mitgehen konnten.

Im Mittelpunkt der Orchesterpatenschaften stehen jedoch immer die Menschen, die Freude an der gemeinsamen Sache, an der Begegnung und an der Musik. Die Initiative nimmt junge Menschen in ihrem Können ernst und motiviert sie für das Orchesterspiel. Der frische Charme, mit dem sie musizieren, macht die in manchen Punkten fehlende Perfektion spielend wett. Und mancher Profi entdeckt in Kontakten zu den Jugendlichen eine interessante Aufgabe und Energiequelle besonderer Art. Die Zusammenarbeit von Jugend- und Berufsorchester macht es möglich, das Pub­likum im Konzertsaal bunter zu mischen und Sympathien für das, was auf der Bühne passiert, zu wecken.

Michael Roser, Solo-Fagottist der ­Stuttgarter Philharmoniker, übernimmt regelmäßig Stimmproben im Patenorchester, dem Jugendsinfonieorchester Stuttgart. Das habe „nichts mit Musikunterricht zu tun“, es gehe vielmehr darum, Tipps, Tricks und Kniffe weiter­zugeben. Nach einem Konzert einen jungen Kollegen neben sich stehen zu haben „mit leuchtenden Augen, der alles gegeben hat“ – dies sei für ihn die schönste Bestätigung.

Die Initiative knüpft die Verbindung zwischen der so genannten „Hochkultur“ und der musikalischen Nachwuchsförderung enger. Mit dieser Motivation unterzeichneten die Jeunesses Musicales Deutschland und die Deutsche Orchestervereinigung 2004 eine Kooperationsvereinbarung, die durch die Einladung ins Schloss Bellevue und durch die Anwesenheit des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau besondere gesellschaftliche Würdigung erfuhr. Rau hatte sich gegen Ende seiner Amtszeit nachdrücklich für die Bedeutung der musi­kalischen Bildung für ein gelingendes Men­schenleben und für eine besser funktionierende Gesellschaft stark gemacht und unermüdlich betont, wie wichtig es sei, nicht nur in Straßen zu investieren, sondern in die Herzen der jungen Leute.
Seit 2007 ist der Verband deutscher Musikschulen dritter starker „tutti pro“-Partner. Allen drei beteiligten Verbänden ist die Initiative eine Herzensangelegenheit. In ihren bundesweiten Netzwerken setzen sie sich dafür ein, immer mehr Patenschaften anzuregen und bestehende, erfolgreiche Orchesterpatenschaften auszuzeichnen: die Jeunesses Musicales Deutschland als Gemeinschaft von bundesweit rund 300 Jugendorchestern mit ingesamt etwa 15000 jugendlichen Musikerinnen und Musikern, die Deutsche Orchestervereinigung als Interessenvertretung von 13000 Berufsmusikern in rund 130 Orchestern und der Verband deutscher Musikschulen, in dessen bundesweit über 930 örtlichen Musikschulen mit Sinfonie-, Streich- und Kammerorchestern viele musikalische Fäden zusammenlaufen.

Für Kaspar Wachinger (18), Geiger im Jugendsinfonieorchester Stuttgart, sind die Registerproben Gelegenheit zum Austausch mit „echten“ Orchestermusikern und eine ganz besondere Erfahrung: „noch konzentrierter, weil ungewohnter“. Kurz und treffend seine Beschreibung eines „tutti pro“-Effekts: „Man möchte gut sein, deshalb wird’s dann auch besser!“

Ein Leuchtturm der Initiative ist die 2013 geschlossene Patenschaft zwischen dem Bundesjugendorchester und den Berliner Philharmonikern, unterstützt von Sir Simon Rattle. Unter anderem treten die beiden Spitzenorchester regelmäßig gemeinsam bei den Osterfestspielen im Festspielhaus Baden-Baden auf. Aber auch fernab der Metropolen profitieren Ensembles durch die kollegiale Zusammenarbeit von Synergieeffekten. Und der Erfolg der Initiative steckt an: Um die inspirierende Erfahrung und das Erlebnis, über sich selbst hinauszuwachsen, vielen jungen Kolleginnen und Kollegen zu ermöglichen, haben sich manche Profi­orchester sogar dazu ent­schlossen, mehrere Patenkinder zu „adoptieren“. Mit „tutti pro“ gelingt, was sich die Initiatoren erhofft hatten: Musiker, Orchesterleiter und Verantwortliche denken über den Horizont ihres eigenen Orchesters hinaus, schauen sich um in ihrer Stadt und suchen neue musikalische und zwischenmenschliche Verbindungen. In diesem besten Sinne sind die Patenschaften eine Bereicherung und ein kluges und sympathisches Investment in unsere Orchesterlandschaft.

* Alle Zitate wurden eingefangen beim „tutti pro“-Symposium im Mai 2017 in Stuttgart.