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Sommerfeld, Jörg

Am Wochenende die Musik des Mittelalters vorbereiten

Als Musikschullehrer in der Schule – ein Selbstversuch

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2024 , Seite 46

Was motiviert gut ausgebildete Musikschullehrkräfte zu einem Wechsel ins Schulsystem? Mehrere junge Lehrkräfte teilten mir als Leiter einer kommunalen Musikschule in den vergangenen Jahren mit, dass sie nun in die Schule wechseln würden. Einige erhielten schon bei einem ersten nachfragenden Gespräch bei den Schulbehörden direkt ein konkretes Stellenangebot. Der Musiklehrermangel in den Schulen ist groß, der Systemwechsel ist einfach: Viele Schulministerien werben gerade aktiv für den Seiteneinstieg in den Lehrerberuf. Da taucht schnell die Frage auf, ob man als Seiteneinsteiger in der Schule nicht besser dastünde. Als das lokale Gymnasium nach kurzfristigen Aushilfen fragte, bot sich mir die Chance für einen Selbstversuch.
Drei wöchentliche Unterrichtstunden zu je 60 Minuten hatte ich zugesagt. Beeindruckend war die Professionalität der Musikfachschaft; die seit Corona vollständige Digitalisierung aller schulischen Abläufe machte mir den Einstieg leicht. In der Schulplattform „iServ“ konnte ich sämtliche Klassenbücher führen, Anwesenheiten dokumentieren, auf große Mengen Unterrichtsmaterialien zugreifen oder den schuleigenen Lehrplan lesen.
Alle Schülerinnen und Schüler hatten ein eigenes iPad, Aufgabenstellungen und Unterrichtsinhalte ließen sich ganz einfach digital verteilen (gerade bei Musik hilfreich). Standardmäßig war GarageBand auf den iPads installiert, wodurch jedes Kind z. B. auf der Bildschirmklaviatur musiktheoretische Inhalte nachvollziehen konnte. Digitale Tafeln waren überall vorhanden, ich selbst konnte somit Tafelbilder zuhause vorbereiten, die Kinder konnten ihre Bildschirme teilen und zum Beispiel das Ergebnis einer Gruppenarbeit präsentieren.
Klassenführung ist mir seit vielen Jahren vertraut, schließlich arbeite ich als Bläserklassenleiter für die Musikschule in einer Gesamtschule. Auch meine Erfahrungen aus Ensembleleitung und Grundschulkooperationen waren hilfreich. Während manche Instrumentallehrkräfte den Umgang mit großen Gruppen als anstrengend erleben, gibt es in Musikschulen ja auch Stellen, in denen man genau das einüben kann. Eine JeKits-Lehrkraft zum Beispiel könnte vermutlich relativ einfach auch Musikunterricht in einer Grundschule erteilen.
Manche Inhalte des schulischen Lehrplans dagegen waren mir völlig unvertraut: Die Musik des Mittelalters, Musik anderer Kulturen, Programmmusik etc. kenne ich natürlich. Allerdings hatte ich hier bisher kein Unterrichtsrepertoire. Leider bieten die einschlägigen Musikbücher verschiedener Verlage keine klare Anleitung dazu, wie man aus den Themen eine gelungene Unterrichtsstunde macht. Auch die umfangreiche, von der Fachschaft zusammengetragene Materialsammlung musste von mir erst einmal gesichtet und nachvollzogen werden.
Letztlich habe ich ungefähr einen Arbeitstag am Wochenende dafür benötigt, um die drei Unterrichtsstunden der folgenden Woche vorzubereiten. Ganz sicher ließe sich dieser Aufwand mit einigen Jahren Erfahrung reduzieren, weil sich Stundenentwürfe auf neue Klassen übertragen lassen. Mein eigener Perfektionismus hat jedoch dazu geführt, dass ich immer neue Arbeitsblätter konzipiert, nach geeigneten Hörbeispielen gesucht, neue Stundenentwürfe geschrieben und nachträglich ausgewertet habe. Bei Inhalten wie der Instrumentenkunde war es etwas leichter, hier konnte ich auf mein Material aus der Musikschule zurückgreifen.
Nach nur etwas mehr als zwei Monaten kam der Hinweis, dass die Quartalsnoten einzutragen wären. Ich sollte meine insgesamt 90 Schülerinnen und Schüler also nach so kurzer Zeit rechtssicher und gerecht beurteilen – damit hatte ich nicht gerechnet. Bei mir tauchte sofort die Frage auf, wie das ein vollzeitbeschäftigter Musiklehrer machen würde; dessen gesamte Schülerzahl kann immerhin bei rund 400 Personen liegen. Überhaupt: Nach welchen Kriterien und mit welchen Mitteln sollte ich in so großen Lerngruppen feststellen, wer eine „zwei minus“ und wer eine „drei plus“ bekommt? Trotz definierter Kompetenzen im schuleigenen Lehrplan blieb mir das rätselhaft.
Immerhin begann ich dann sofort damit, mir nach jeder Stunde Notizen zur Leistung jedes Kindes zu machen. Ich wusste, dass manche Eltern hier sehr empfindlich reagieren und hatte auch schon von gerichtlichen Klagen gehört. Nur steigerte das den Arbeitsaufwand noch weiter. Auch die „Tests“, also die schriftlichen Leistungsüberprüfungen, die ich daraufhin durchgeführt habe, brachten eher Ernüchterung. Zum einen sind Testdesign, Korrektur und Benotung wieder enorm zeit­intensiv, wenn man es gut machen will. Zum anderen wurde mir dabei klar, dass einige Schüler und Schülerinnen an meinem Lieblingsthema Musik überhaupt kein Interesse zu haben schienen. In einem Fall habe ich direkt vor dem Test eine der Fragen daraus nochmals mit der Klasse besprochen. Trotzdem konnten etwa 30 Prozent diese unmittelbar danach nicht beantworten. Die einzige Erklärung schien mir, dass die Kinder meiner Einführung – aus Desinteresse? – gar nicht zugehört hatten.
Was die Bezahlung angeht, so wurde ich tatsächlich als Aushilfe in der Schule ähnlich bezahlt wie in meiner Funktion als Leiter einer Musikschule mit über 3000 Schülerinnen und Schülern und Budgetverantwortung für über 2,5 Millionen Euro. Während eine angestellte vollbeschäftigte Musikschullehrkraft mit TVöD 9b 3381 bis 4557 Euro als monat­liches Gehalt hat, bekommen bereits Aushilfslehrkräfte im Gymnasium in NRW je nach Erfahrung in Entgeltgruppe TV-L 11 (Bachelor) 3653 bis 5379 Euro, in Entgeltgruppe TV-L 12 (Master) 3775 bis 5910 Euro.
Wer an einem der Programme zum Seiteneinstieg in den Lehrerberuf teilnimmt, hat die Chance auf Verbeamtung. Das eröffnet im Vergleich zur Musikschule ungeahnte Vergütungsmöglichkeiten. Der Beamtensold einer Lehrkraft im Gymnasium nach A 13 beträgt monatlich zwischen 4588 und 5652 Euro. Hinzu kommt gegebenenfalls ein wohnortabhängiger Familienzuschlag von bis zu 1515 Euro monatlich, ab dem dritten Kind weitere 829 Euro. Beamte zahlen keine Rentenversicherungsbeiträge, in der Regel müssen sie sich privat krankenversichern. Dazu erhalten sie allerdings weitere Gelder in Form von sogenannten „Beihilfen“ (alle Zahlen unter oeffentlicher-dienst.info und nrw.dgb.de, Besoldungstabelle).
Doch die aus Musikschulsicht enorme Vergütung von verbeamteten Lehrkräften an Schulen geht auch mit Nachteilen einher. Beamte unterliegen zum Beispiel nicht dem normalen Arbeitsrecht, sie haben eine besondere Treuepflicht gegenüber ihrem Dienstherrn. Das kann dazu führen, dass sie kein Anrecht auf Teilzeit haben und zur Vollzeit verpflichtet werden. Diese Einschränkung ist in NRW gerade eine Maßnahme gegen den Lehrkräftemangel. Eine zeitgleiche Beschäftigung in Schule und Musikschule ist für Landesbeamte in der Regel nicht möglich, wegen des Lehrkräftemangels wird die hierfür erforderliche Nebentätigkeitserlaubnis und Teilzeitgenehmigung meist nicht erteilt. Eine verbeamtete Lehrkraft kann nicht sich auch nicht einfach an einer anderen Schule bewerben und den Arbeitsplatz wechseln. Stattdessen muss sie einen Versetzungsantrag stellen, dem nicht unbedingt stattgegeben wird. Umgekehrt kann sie durch ihren Dienstherrn zum Beispiel an eine andere Schule versetzt oder abgeordnet werden, um einen dortigen Lehrkräftemangel zu beheben.
Das Land NRW als Arbeitgeber war gewöhnungsbedürftig. Meinen ausländischen Studienabschluss musste ich für eine Gebühr von 200 Euro bei der „Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen“ zertifizieren lassen. Diese hat keinerlei Kontaktmöglichkeiten per E-Mail oder Telefon. Auch zur Gehaltsabrechnung gab es keine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, Rückfragen an das zentrale Postfach der Behörde wurden nicht beantwortet. Das erste richtige Gehalt bekam ich nach zwei Monaten Tätigkeit. Kollegen berichteten, dass Referendare manchmal noch länger auf eine erste Auszahlung warten müssen. Für den Einstellungsvorgang musste ich 47 Seiten Fragebögen und Belege zusammenstellen. Im Anschluss stellte sich heraus, dass das meiste davon zwar explizit gefordert wurde, jedoch irrelevant war.
Positiv gewendet: In Musikschulen arbeiten viele überzeugte Lehrkräfte, die mit Geld nicht aus dem System zu locken sind, ansonsten würden viel mehr in den Schuldienst wechseln. Ob das aber auf Dauer trägt, bleibt abzuwarten. Der Fachkräftemangel im Musikschulsystem ist inzwischen überall spürbar, längst nicht mehr nur in den Elementarfächern. Gleichzeitig steigen die Anforderungen: So sollen Musikschullehrkräfte etwa in Schulkooperationen wie JeKits und in der Begabtenförderung der Musikschule gleichermaßen gut arbeiten können. Die Situation könnte sich noch verschärfen, denn ob bei den Arbeitsbedingungen (wie etwa der häufig fehlenden Vollzeitmöglichkeit) und der selbst bei Festanstellung vergleichsweise geringen Vergütung in Musikschulen nicht gerade die innovativen und leistungsstarken Lehrkräfte von den Initiativen der Schulministerien zum Seiteneinstieg angezogen werden, bleibt abzuwarten.

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