Sischka, Christoph / Manfred Nusseck / Claudia Spahn
Analoge Digitalisierung
Zum praktischen Einsatz des Disklaviers in der klavierpädagogischen Ausbildung
Das Disklavier findet zunehmend Einzug in die Klavierpädagogik und großen Anklang bei jugendlichen KlavierschülerInnen: ein positives Beispiel für die gelungene Kombination von „analog“ und „digital“ im Zeitalter der Digitalisierung.
Das Disklavier – eine Wortschöpfung der Firma Yamaha, die vor ca. 30 Jahren aus „Floppy-Disk“ und „Klavier“ entstand – entspricht einem akustischen Klavier bzw. Flügel mit herkömmlicher Anschlagsmechanik. Die mechanischen Vorgänge des Anschlags werden mittels Lichtschranken abgetastet. So können die Bewegungen aller 88 Tasten und Klavierhämmer äußerst präzise gemessen und aufgezeichnet werden. Da kein Kontakt zwischen den Abtastsensoren und der Anschlagsmechanik besteht, wird das Klavierspiel nicht beeinflusst. Die Daten werden in ein digitales Format (achtfach genauer als normale MIDI-Daten) umgewandelt und können mit Hilfe entsprechender Software visualisiert und weiterverarbeitet werden. Umgekehrt kann die Anschlagsmechanik elektromagnetisch angesteuert werden. So kann man digitale Daten akustisch wiedergeben und aufgezeichnete oder digital komponierte Stücke abspielen. Das Disklavier ist somit in der Lage, die Spielerfahrung an einem akustischen Klavier mit der Informationsverarbeitung eines digitalen Mediums zu verbinden.
Einsatzmöglichkeiten des Disklaviers
Das Disklavier bietet vielfältige Einsatzmöglichkeiten sowohl in der Klavierpädagogik als auch in der angewandten Forschung.1 Die Verwendung dieses Instruments erfuhr in den vergangenen Jahren eine starke Verbreitung und findet zunehmend Eingang in die pädagogische Praxis und Forschung. In der Klavierdidaktik zeigte der Einsatz des Disklaviers durch Visualisierung des eigenen Spiels im Sinne eines Feedbacks positive Wirkungen.2 So konnten z. B. Tonhalteüberlappungen zwischen den Fingern bei bestimmten Läufen verdeutlicht werden.
Das Disklavier beim Vom-Blatt-Lese-Training
An der Hochschule für Musik Freiburg beschäftigt sich Christoph Sischka schon seit den Anfängen dieses Instruments mit der klavierpädagogischen Anwendung und technischen Weiterentwicklung des Yamaha-Disklaviers. Beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2014 in Braunschweig setzte er das Disklavier in einem Workshop mit jugendlichen PianistInnen beim Vom-Blatt-Lese-Training ein. Zusammen mit Manfred Nusseck und Claudia Spahn vom Freiburger Institut für Musikermedizin an der Hochschule für Musik Freiburg wurden diese Anwendungen weiterentwickelt. So konnte beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ 2017 in Paderborn in einem Workshop mit Christoph Sischka das Disklavier erneut mit pädagogischem Gewinn genutzt werden.
Für die Workshops haben wir leichte vierhändige Stücke ausgesucht, die vom Blatt gespielt und direkt vom Disklavier aufgenommen wurden. Es handelte sich um die Stücke „Der Nachbar“ und „Trillala“ aus Kla-vier-händig von Hans-Jürgen Neuring (Noetzel Edition, Wilhelmshaven 1997). Die Secondostimme wurde dabei immer vom Klavierpädagogen gespielt. Die Daten des Disklaviers wurden in ein selbstentwickeltes Auswertungsprogramm eingelesen (siehe Abbildung).
Mit diesem Programm konnten wir die Fehlerquote sowie die durchschnittliche Anschlagsdynamik und Tonhaltedauer für verschiedene Abschnitte bestimmen. Die Auswertungen wurden den SchülerInnen gezeigt und mit ihnen gemeinsam besprochen.
Positiver Anklang bei den Schülerinnen und Schülern
Das Feedback anhand der Visualisierung der vom Disklavier aufgenommenen Daten traf auf hohes Interesse bei den Schülerinnen und Schülern. Sie begrüßten es, auf diese Weise eine direkte Hilfestellung und eine objektive Rückmeldung zu ihrem Spiel zu erhalten. Das Disklavier konnte dabei das individuelle Spielverhalten unmittelbar aufzeigen. So zeigte sich beispielsweise bei „Der Nachbar“ (siehe Abbildung), dass sich viele SchülerInnen – obwohl es ausschließlich auf dem eingestrichenen c zu spielen ist – schwer taten, dem musikalischen Verlauf auf Anhieb zu folgen. Dies konnte das Auswertungsprogramm auf einfache Weise und objektiv verdeutlichen.
An unserem Beispiel ist erkennbar, dass der Spieler alle Töne richtig gespielt hatte. Mit Hilfe der differenzierten Auswertung konnte allerdings zusätzlich gezeigt werden, dass er die Tendenz hatte, die Töne deutlich zu kurz auszuhalten. Die Viertelnoten wurden im Durchschnitt nur halb so lange gedrückt gehalten wie diejenigen in der Secondostimme. Dagegen wurden die ganzen Noten am Ende der Phrasen entsprechend lang gespielt. Die Anschlagsdynamik war bei allen Tönen nahezu gleich. Bei der Treffgenauigkeit zeigte sich, dass der Spieler auf der Zählzeit 4 – trotz Orientierungsmöglichkeit an der Secondostimme – durchschnittlich 30 Millisekunden zu früh spielte. Die Einbeziehung dieser digital-medialen Technik brachte nicht nur einen objektiven Erkenntnisgewinn und hohe Zufriedenheit, sondern zeigte im Rahmen des Workshops auch deutliche Lernzuwächse bei den Schülerinnen und Schülern.
Der Wunsch nach Hilfestellungen beim Vom-Blatt-Spiel ist sowohl bei SchülerInnen als auch bei Lehrkräften sehr groß. Das Disklavier kann dabei analytisch eingesetzt werden und vermittelt als Feedback genauere Ansatzpunkte für das individuelle Spiel. Für die klavierpädagogische Lehrkraft eröffnet es das schnelle Erkennen wiederkehrender Probleme und bietet zusätzlich einen Zugang, Schülerinnen und Schülern systematische Probleme visuell zu vermitteln. Auf diese Weise ermöglicht das Disklavier im Gegensatz zu gängigen digitalen Notenlernprogrammen oder Apps eine Darstellung des direkten Spielverhaltens am Instrument und bietet in der Verknüpfung mit der Instrumentallehrkraft eine didaktisch-methodische Unterstützung.
Ausblick
Die Erfahrungen zeigen vielversprechende Möglichkeiten für den praktischen Einsatz des Disklaviers in der klavierpädagogischen Ausbildung. Dessen differenzierte Anwendung setzt bisher allerdings ein umfangreiches technisches Know-how in der Datenanalyse und -auswertung voraus. Weitere Forschung zum Einsatz des Disklaviers beispielsweise in der Didaktik des Vom-Blatt-Spiels ist an der Hochschule für Musik Freiburg bereits geplant. In Zusammenarbeit mit der Klavierdidaktik und -methodik können Ansätze zur individuellen Herangehensweise in der pädagogischen Praxis formuliert werden, welche wiederum als Grundlage für neue klavierdidaktische Unterrichtswerke dienen können.
Gerade für professionelle Pianistinnen und Pianisten können mithilfe des Disklaviers darüber hinaus wichtige Fragen der Übestrategien bei spezifischen pianistischen Problemen untersucht werden. Für das neue Freiburger Forschungs- und Lehrzentrum Musik an der Hochschule für Musik Freiburg liegen hier mannigfaltige wissenschaftliche Herausforderungen in Kooperation von Klavierpädagogik, Klavierdidaktik, Musikphysiologie und Musikermedizin.
1 Zum Überblick über die Einsatzmöglichkeiten des Disklaviers siehe Christoph Sischka: „Von ,Welte-Mignon‘ zu virtuellem Musizieren. Das Yamaha Disklavier in der Klavierdidaktik, bei der Interpretationsanalyse und als musikalisches Kommunikationsmedium“, in: European Piano Teachers Association – Sektion der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Im Mittelpunkt: Das Instrument, Staccato, Düsseldorf 2016, S. 70-78.
2 vgl. Kathleen Riley/Edgar E. Coons/David Marcarian: „The Use of Multimodal Feedback in Retraining of complex Technical Skills of Piano Performance“, in: Medical Problems in Performing Artists, 20, 2005, S. 82-88.