Deserno, Katharina

Anerkennung und Differenzerfahrung

Ein instrumentalpädagogisches Modell

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2015 , Seite 50

Eine Instrumentalpädagogik der Anerkennung knüpft an die Theorie der Anerkennung des Frankfurter Sozialphilosophen Axel Honneth an.1 Sie hat zum Ziel, innerhalb des interaktiven und interpersonellen Ge­schehens im Instrumentalunterricht die Autonomie der Lernenden zu fördern sowie eine Ausdifferenzierung und Entfaltung von individuellen Potenzialen mit den Lernenden gemeinsam hervorzubringen.

Das Glück über eine gelungene Unterrichtsstunde kennen alle InstrumentalpädagogInnen. Nicht nur der Schüler oder die Schülerin hat das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein, auch die Lehrerin oder der Lehrer. Damit solche Situationen nicht dem Zufall überlassen bleiben, stellt sich immer wieder die Frage: Warum gelingt oder misslingt ein Unterricht? Ausgehend von dieser Frage möchte ich auf der Basis praktischer Unterrichts­erfahrungen zwei Konzepte vorstellen. Mit diesen Konzepten soll von einer Meta-Ebene der Reflexion auf einige Aspekte gelingender Instrumentalpädagogik geblickt werden, um diese dann wieder für die Praxis fruchtbar machen zu können.
Instrumentalpädagogische Lernprozesse gelingen, so die zwei Hauptthesen,
1. unter intersubjektiven Bedingungen einer „Pädagogik der Anerkennung“2 und
2. durch die Ermöglichung von Differenzerfah­rungen.
In einer so verstandenen Instrumentalpädagogik wird neben der musikalisch-künstlerischen Arbeit die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden in den Blick gerückt. Es geht um ein Lernbeziehungsmodell, das mit Wertschätzung, Ermutigung und Empathie arbeitet. Außerdem wird das Ziel angestrebt, Lernende durch den bewussten Umgang mit Differenzerfahrung zu künstlerischer sowie persönlicher Autonomie anzuleiten.
Beide Einstellungen und pädagogischen Hand­lungsweisen – die anerkennende sowie die an Differenzerfahrung orientierte – führen dazu, die Reflexion dieser pädagogischen Vorgänge als wichtigen Bestandteil der professionellen Kompetenz von InstrumentalpädagogInnen zu verstehen. Musik, Musik-Aufführung, Musik-Rezeption und Musik-Lernen sind kommunikative Vorgänge. Neben der Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden geht es im Instrumentalunterricht um Kommunikation mit dem Instrument, mit dem musikalischen Kunstwerk und mit einem (realen oder imaginierten) Publikum.3 Praxisnahe instrumentalpädagogische Methoden profitieren von der Thematisierung dieser Vorgänge.

InstrumentalPädagogik der ­Anerkennung

Die Konzepte von Anerkennung und Differenzerfahrung erfassen zentrale Eigenschaften musikalischer Bildungsprozesse mit ihren kommunikativen, interaktiven und intersubjektiven Aspekten, die ich im Folgenden in ihre theoretischen Kontexte einordnen möchte. Ich nehme Bezug auf den Anerkennungsbegriff des Sozialphilosophen Axel Honneth, den er 1994 in seiner Arbeit Kampf um Anerkennung explizierte.4 Anerkennung sei zunächst einmal als „Befürwortung oder Wertschätzung von Subjekten“ zu verstehen, so Honneth.5 Intersubjektive Anerkennung bezeichne „den doppelten Vorgang einer gleichzeitigen Freigabe und emotionalen Bindung der anderen Person, nicht eine kogni­tive Respektierung, sondern eine durch Zuwendung begleitete, ja unterstützte Bejahung von Selbständigkeit“.6

1 Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main 1994.
2 vgl. Bruno Hafeneger/Peter Henkenborg/Albert Scherr (Hg.): Pädagogik der Anerkennung. Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder (Reihe Politik und Bildung, Band 27), Schwalbach 2007; Honneth, a. a. O.
3 Peter Röbke: „Man kann nicht nicht kommunizieren. Aspekte der Lehrer-Schüler-Beziehung im Instrumentalunterricht“, in: Gerhard Mantel: Querverbindungen. Anstöße zur Erweiterung musikpädagogischer Spielräume, Mainz 2000, S. 73-89; Sibylle Cada: „Querverbindungen in der Unterrichtspraxis“, in: Mantel, a. a. O., S. 145-151.
4 Honneth, a. a. O.
5 ebd., S. 173.
6 ebd.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2015.