Gruhn, Wilfried

Anfänge des Musiklernens

Eine lerntheoretische und entwicklungspsychologische Einführung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms, Hildesheim 2010
erschienen in: üben & musizieren 2/2012 , Seite 55

Seit einer Reihe von Jahren hat sich Wilfried Gruhn in verdienstvoller Weise in seinen Schriften, insbesondere im Bereich des frühen Kindesalters, um eine wissenschaftliche Begründung der Arbeit in diesem musikpädagogischen Feld bemüht. Mit der vorliegenden Schrift leistet er auf sehr breiter Literaturbasis ­einen weiteren wertvollen Baustein hierzu.
Aus der praktischen Arbeit mit Eltern, Erzieherinnen und Musiklehrkräften erwachsen, geht es dem Autor „nicht so sehr um die wissenschaftstheoretische Neufassung einer neurobiologischen Lerntheorie, sondern um eine möglichst verständliche Darstellung der Zusammenhänge von mentaler und körperlicher Entwicklung und genetisch angelegten Fähigkeiten beim Musiklernen von Anfang an“. Der Anspruch ist hoch. In weit ausholender Geste wird die Schrift zunächst mit einer allgemeinen Darlegung der Bedeutung der Musik in der Entwicklungsgeschichte des Menschen, der Frage, warum Menschen musizieren, sowie der Tiefenwirkungen von Musik eröffnet. Ihr folgen mehrere Kapitel, in denen sys­tematisch die Entwicklung der akustischen Wahrnehmungs­fähigkeit des Kindes, schon von seiner pränatalen Phase an, die Entwicklung seiner musikalischen Fähigkeiten im ersten Lebensjahr, die Formen frühkind­licher Kommunikation sowie die Prozessabläufe vokalen Lernens dargestellt werden.
Ohne auf die Faktenfülle eingehen zu können, seien nur einige Aussagen herausgegriffen; so definiert Gruhn Singen „als ein stilisiertes, ästhetisch überhöhtes Sprechen“ (Singen und Sprechen werden auf eine gemeinsame Wurzel zurückgeführt). „Falsches“, das heißt unsauberes Singen beruhe, so Gruhn, auf einer Störung der auditorisch-motorischen Koppelung (der „phonologischen Schleife“).
Ein ausführliches Kapitel widmet sich den neurobiologischen Grundlagen des Musiklernens. Der Autor hebt u. a. die große Bedeutung der emotionalen Verstärkung beim Lernen hervor und spricht auch das „Zusammenspiel von Gehirn, Körper und Umgebung (Milieu)“ an. Hier geht es auch um ein äußerst diffiziles Forschungsproblem: Wie weit bestimmen oder beeinflussen sehr heterogene soziale und musikalische Voraussetzungs­milieus die Ergebnisse musikpädagogischer Arbeit sowie deren Wertung oder Messung grundsätzlich? Drei weitere Kapitel widmen sich dem Aufbau des musikalischen Denkens. Es werden mehrere lerntheoretische Ansätze mit einem Schwerpunkt auf Edwin Gordons Lerntheorie dargelegt.
Im vorletzten Kapitel geht es um die Frage, ob es bei der Musikalischen Früherziehung um „informelle Unterweisung“ oder „formellen Unterricht“ geht. Die Schrift schließt mit einem Kapitel über den „Einstieg in den ersten Instrumentalunterricht“ als praktisches Anwendungsmodell.
Günther Noll