© Inken Kuntze-Osterwind

Smalla, Anneke

Angstfrei ­vorspielen

Vielfältige Vorspielaktionen im Unterricht und beim Üben bewusst gestalten

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 2/2018 , Seite 32

Vorspielen ist für viele SchülerInnen mit Angst und Unsicherheit verbunden. Zwar gibt es mancherlei Ideen und Konzepte, aus Schülervorspielen etwas anderes zu machen als pure Leistungsdemonstrationen – nämlich erfreuliche Darbietungen eines authentischen Musizierens. Doch das Vorspielen beginnt ja nicht erst im Moment des großen Schülervorspiels: Es gibt viele Situationen, in denen wir vorspielen, ohne es zu merken.

In meiner Bachelorarbeit im Fach Instrumentalpädagogik begab ich mich auf die Suche nach vielfältigen Vorspielmomenten im Unterricht und beim Üben. Indem wir Instrumentallehrkräfte uns diese Aktivitäten bewusst machen und gezielt einsetzen, eröffnen sich viele Möglichkeiten, Schülerinnen und Schüler auf das Vorspielen im Konzert vorzubereiten. Dabei geht es vor allem um das sanfte Heranführen an die besonderen Herausforderungen des Vorspielens und um ein angstfreies Spiel.

Wenn ein Vorspiel ansteht, so ist dies nicht für alle SchülerInnen eine angenehme Aussicht. Das kann daran liegen, dass Vorspiele im Musikschulalltag in der Regel nur zwei bis drei Mal im Jahr stattfinden und somit für unsere SchülerInnen ungewohnt sind. Wie können wir sie an das Vorspielen gewöhnen, sodass sie mit ihm vertraut werden? Vor allem dadurch, dass die strikte Trennung von Unterricht und Vorspiel vermieden wird. Im Unterricht und beim Üben sind wir meist allein und gewohnten Mustern ausgesetzt – ein Prozess, der den Spielenden die Möglichkeit eröffnen soll, ein Werk auf dem Instrument zu erarbeiten und dann auch anderen Zuhörern darzubieten. Das Vorspiel bietet aber aus verschiedenen Gründen nicht die gewohnten Muster, die (Vor-)Spielenden sind einer neuen, besonderen Situation ausgesetzt. Die Aufhebung der Trennung von Unterricht und Vorspiel ermöglicht uns, vielfältige Vorspielaktionen in den Unterrichts- und Übeprozess zu integrieren.

Dabei sind die Aktionen einerseits Vorbereitung auf das große Schülervorspiel, andererseits Selbstzweck, nämlich der Versuch, von jedem kleinen Vorspielmoment zu profitieren. Es geht darum, kleine und größere Vorspielmomente im Unterrichts- und Übealltag zu finden, bewusst zu machen und zu nutzen. Die folgende Ideensammlung ist nur der Anfang eines großen Feldes, in dem jede Lehrperson nach geeigneten Situationen forschen kann. Für alle Aktionen gilt: Je öfter die Vorspielmomente vorkommen, desto gewohnter wird das Vorspielen für die SchülerInnen – und die Angst vor geplanten Vorspielen kann sinken.

Unterrichtsraum als Bühne

Der Unterrichtsraum wird für kurze Momente während der Unterrichtsstunde zum Konzertsaal umfunktioniert. Wenn ein Schüler ein Ergebnis erzielt hat (das können auch kurze Abschnitte eines Stückes sein), kann er es der Lehrerin vorspielen. Dazu setzt sich die Lehrerin, die das Publikum mimt, in gewisser Entfernung zum Schüler hin und hört nur zu (wichtig: Die Lehrerin lässt ihn kommentarlos durchspielen). Der Schüler stellt sich auf die imaginäre Bühne, die vorher gemeinsam mit der Lehrerin an einer bestimmten Stelle im Raum verortet wurde. Durch das Durchspielen festigt er das zuvor Geübte und trainiert gleichzeitig für die Situation beim großen Vorspiel.

Hospitationen

Durch die Hospitation von Studierenden oder interessierten Lehrkräften entsteht eine spezielle Vorspielsituation. Schülerin und Lehrer stehen unter Beobachtung. Die Schülerin wird während des Lernprozesses wahrgenommen und nicht wie beim Vorspiel bei der Darbietung gut geübter Ergebnisse. Dadurch verliert sie die Angst vor negativen Auswirkungen von Fehlern in Vorspielsituationen. Die Situation sollte zuvor mit der Schülerin besprochen werden, damit sie sich darauf einstellen kann.

Offene Stunden

Die Möglichkeit von offenen Unterrichtsstunden ergibt sich zum Beispiel während des Tags der offenen Tür an der Musikschule. Anders als bei Hospitationen ist das Publikum unbekannt und die Anzahl der Menschen im Raum ungewiss. Durch Laufpublikum entsteht eine gewisse Unruhe im Raum, die dem Schüler abverlangt, sich auf seine Aktion zu konzentrieren. Von dieser Fähigkeit profitiert er bei Vorspielen, da es auch dort immer zu Un­ruhe kommen kann.

Vorspiel im häuslichen Umfeld

Das Vorspiel im häuslichen Umfeld der SchülerInnen kann als Hausaufgabe aufgegeben werden. Eltern, Geschwistern, Freunden oder Kuscheltieren ohne die Aufsicht der Lehrperson vorzuspielen, ermöglicht den SchülerInnen, sich selbstständig kreativ auszuleben. So berichten meine Schülerinnen und Schüler zum Beispiel von Situationen, in denen sie Regisseure eigener kleiner Konzerte wurden. Diese Erlebnisse gaben ihnen ein sicheres Gefühl und stärkten somit die positiven Assoziationen zum Thema Vorspiel. Die Lehrperson kann zusätzlich die Ideen der SchülerInnen aufnehmen und sie für die Gestaltung weiterer Vorspiele nutzen.

Unerwartete Vorspielsituation

Vor Beendigung der Unterrichtsstunde kann es dazu kommen, dass der nächste Schüler frühzeitig in den Unterrichtsraum kommt und somit zum Zuhörer der letzten Unterrichts­minuten wird. Es entsteht eine Vorspielsituation, die sich die spielende Schülerin nicht ausgesucht hat. Eine mögliche Reaktion könnte Verkrampfung sein. Kommt diese Situation allerdings regelmäßig vor, gewöhnt sich die Schülerin daran und kann Gelassenheit gewinnen. Auch der zuhörende Schüler profitiert vom Unterrichtsgeschehen und kann passiv mitlernen. Ich bitte daher meine SchülerInnen explizit, nicht vor dem Raum zu warten, sondern stets direkt hereinzukommen.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2018.