Morazzoni, Anna Maria

Arnold Schönberg. Stile herrschen, Gedanken siegen

Ausgewählte Schriften, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2007
erschienen in: üben & musizieren 4/2008 , Seite 54

Der Name Arnold Schönberg steht für weit mehr als nur die über Jahrzehnte umstrittenen Werke „mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“. Zeitlebens hat er über fast alles musikalisch und lebensweltlich Relevante nachgedacht, und zwar – zu unserem Vorteil – bevorzugt schriftlich (für besonders kleine Zettel legte er, wie Nuria Schönberg Nono mitteilt, selbst gebastelte Mappen an).
In dem neuen, fadengehefteten Band finden sich bereits publizierte Texte aus den (nicht identischen) Sammlungen Style and Idea und Stil und Gedanke (1976) ebenso wie ein Reigen interessanter bis hochinteressanter, im 21. Jahrhundert aktuell gebliebener Gedanken, die mehrheitlich die Tonalität betreffen (Bach, Mozart, Beethoven, Brahms u. v. a.). Neben den von 1910 bis 1912 veröffentlichten Aphorismen werden hier erstmals bislang unbekannte Aphorismen von hoher Bedeutung zugänglich. Die wichtigsten Rubriken des opulenten Inhaltsverzeichnisses umfassen theoretische Fragen, Soziales, Leben und Werk und Zeugnisse unterschiedlicher Adressaten.
Bei der Konzeption des Buchs bzw. der Textauswahl war Nuria Schönberg Nonos Wunsch leitend, nicht nur spezialisierte Leserschaften, sondern auch ein „weit gefächertes Publikum“ zu erreichen. Wenn Schönberg im Nachwort der Herausgeberin als eine Hauptfigur der jüngeren Geschichte dargestellt wird, „an die sich die Gegenwart vertrauensvoll wenden kann“, ist zu bedenken, dass Schönberg aus Verantwortungsgefühl nicht nur gegenüber der eigenen Laufbahn und der Kunst im Allgemeinen, sondern dem Leben und der Zukunft des Menschen überhaupt reflektiert hat. Die Zusammenstellung der Texte hätte gewiss auch anders erfolgen können, doch ist die vollständige Edition aller schriftlichen Äußerungen beim Arnold Schönberg Center in Wien, auf dessen informative Internetseiten hier hingewiesen sei, zu erwarten – jedoch nicht sehr bald.
Dankenswerterweise ist das Buch mit einem übersichtlichen Personen- und Werkregister ausgestattet sowie mit einer fünfviertelstündigen CD, auf der Schönberg, überwiegend englisch, aber auch deutsch (aufgenommen 1931 und 1936), spricht. Rhythmische und musikalische Qualitäten der Sprechweise führen uns aufmerksam Hörenden eine Künstlerpersönlichkeit vor Ohren, der man keineswegs angemessen begegnet, wenn man nicht das Wienerische und das aus der Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts Stammende, ferner Schönbergs strenge, aber höchst mitteilsame kommunikative Prägnanz gewahr wird: Hat man Schönberg einmal gehört, wird man nicht wieder vergessen, wie Authentizität klingen kann.
Wer indes Schönbergs Schriften angemessen begegnen will, braucht Willensstärke, Intelligenz, Gefühl und Herz. Ob Pädagoge, Theoretiker, Musiker, Künstler oder Laie – die Lektüre lohnt, inspiriert, ja verwandelt uns.
Matthias Thiemel