Pohl, Christian A.
Artikulation am Klavier
Eine praxisorientierte Hinführung in sieben Stufen
Wir Lehrende gehen oft wie selbstverständlich davon aus, dass unsere Schülerinnen und Schüler jene Fachterminologie kennen, mit der wir alltäglich umgehen. Nachfolgend möchte ich am Beispiel der Artikulation in sieben Stufen darstellen, wie eine praxisorientierte Hinführung an eine präzise Artikulation im Klavierunterricht aussehen kann.
Stufe 1: Über den Begriff Artikulation reden
Wir können uns der Frage, was wir unter Artikulation verstehen, nähern, indem wir unsere Schülerinnen und Schüler bitten, selbstständig diesbezüglich zu recherchieren. Oder aber wir erklären es beispielsweise mit den Worten von Wilhelm Ziegenrücker (aus seiner Allgemeinen Musiklehre): Artikulation umfasst „verschiedene Möglichkeiten, Töne miteinander zu verbinden bzw. voneinander abzuheben“. Unabhängig davon, für welche Variante wir uns entscheiden, ist es in dieser ersten Stufe wichtig, dass unsere Schülerinnen und Schüler verstehen, was wir mit dem Begriff „Artikulation“ überhaupt meinen.
Stufe 2: Artikulation hörend entdecken
Wenn wir das Thema Artikulation im Klavierunterricht entfalten, stehen wir vor einem Problem. Denn es gibt unendlich viele Möglichkeiten, einen Ton zu artikulieren bzw. zwei Töne miteinander zu verbinden. Die Zahl der Abstufungen im Hinblick auf die Länge eines Tones ist unbegrenzt. Doch mit Unendlichkeit lässt sich schwer arbeiten. Daher empfehle ich, sich zunächst auf ein begrenztes Repertoire unterschiedlicher Artikulationen zu beschränken. In der von mir entwickelten Klaviermethodik besteht solch ein Repertoire aus acht verschiedenen Artikulationen, die leicht zu erlernen sind und uns trotz der Beschränkung ein hoch differenziertes Gestalten ermöglichen.
In einem ersten Schritt führen wir die vier Legato-Artikulationen ein: das „deklamierende legato“, das „kantable legato“, das „legatissimo“ und das „non legato“. Dazu spielen wir Lehrkräfte in einem sehr langsamen Tempo (höchstens ein Ton pro Sekunde) eine Tonleiter aufwärts und lassen unsere Schülerinnen und Schüler beschreiben, wie die Töne verbunden sind. Beim „deklamierenden legato“ werden sie erkennen, dass die Töne ohne jegliche Überlappung aneinander gesetzt sind. Beim „kantablen legato“ dagegen werden sie für einen kurzen Moment durch die Überlagerung der Töne eine leichte Reibung hören. Beim „legatissimo“ schwimmen die Töne regelrecht ineinander und beim „non legato“ ist ein klein wenig Luft zwischen den Tönen wahrnehmbar.
In meinem Buch Klaviermethodik sind noch die Artikulationen „portato“, das „massive staccatissimo“, das „leichte staccatissimo“ und das „staccato“ beschrieben. Wir gehen bei diesen Artikulationen auf die gleiche Weise vor. Das Ziel dieser zweiten Stufe besteht darin, die acht Artikulationen (oder einen Teil davon) allein über das Hören entdecken und beschreiben zu lassen.
Stufe 3: Artikulation spielend erleben
In der dritten Stufe geht es darum, die Artikulationen selbst am Klavier darzustellen. Die Schülerinnen und Schüler sollen die jeweilige Artikulation nach dem Vorbild der Lehrkraft so gut nachahmen, dass sie allein anhand des Hörens erkannt werden kann. Dazu werden acht Lernkarten vorbereitet und gemischt. Die Schülerin oder der Schüler soll versuchen, die auf der gezogenen Karte angezeigte Artikulation so klar durch eine Tonleiter darzustellen, dass die Lehrkraft, die nicht sieht, um welche Artikulation es sich handelt, sie zweifelsfrei erkennt.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2023.