Weuthen, Kerstin
Aufmerksamkeitsoptionen aushandeln
Eine videobasierte Studie mit Lehrenden und Lernenden im instrumentalen und vokalen Einzelunterricht
Kerstin Weuthen fragt nach „Aufmerksamkeitsprozesse[n] der Lernenden im instrumentalen und vokalen Einzelunterricht“. Zu Beginn spürt sie den verschiedenen Bedeutungen von Aufmerksamkeit nach. Für den Kontext der Arbeit wählt sie schließlich drei zentrale Begriffe aus, darunter die „Aufmerksamkeitszuwendung“. Gemeint ist damit ein „aktiver und zumindest anteilig bewusst vollzogener Prozess […], der durch Konzentration auf den fokussierten Inhalt gekennzeichnet ist“. Diese und weitere „Aufmerksamkeitsprozesse“ der Lernenden werden sodann untersucht. Weuthen vollzieht dies aus drei Perspektiven und formuliert entsprechende Teilfragen. Erstens: Wie nehmen die Lernenden ihre eigenen Aufmerksamkeitsprozesse wahr? Zweitens: Wie nehmen die Lehrenden die Aufmerksamkeitsprozesse der Lernenden wahr? Drittens: Wie verhalten sich diese Wahrnehmungen zueinander?
Um Antworten zu finden, führt Weuthen „Video Stimulated Recall Interviews“ durch. Dabei werden Unterrichtsstunden gefilmt und im Anschluss einzelne, als bedeutsam erscheinende Sequenzen ausgewählt. In den folgenden Einzelinterviews dienen diese Sequenzen als „Erzählimpulse“. Die Beteiligten schauen sich die Sequenzen an und können sich dabei „an ihre Gedanken und Emotionen während des eigentlichen Geschehens erinnern und darüber reflektieren“.
Die Ergebnisse werden, den Teilfragen folgend, dreiteilig wiedergegeben: Erstens erweisen sich im Blick auf die Selbstwahrnehmung der Lernenden Fehler als besondere „Aufmerksamkeitsmagnete“. Diese können andere Aufmerksamkeitsoptionen verdrängen. Zweitens können im Blick auf die Lehrenden drei verschiedene Strategien beschrieben werden, mit denen sie versuchen, die Aufmerksamkeitsprozesse der Lernenden zu beeinflussen. Dazu zählt das „Bewusstmachen von Aufmerksamkeitsoptionen“ durch vielfältige Formen des „Zeigens“. Drittens werden die im Unterricht tatsächlich von den Lernenden ausgewählten Aufmerksamkeitsoptionen als Ergebnis eines gegenseitigen Aushandlungsprozesses gedeutet. Hierbei kann es zu Reibungen kommen, wenn etwa Ziele und Perspektiven „nicht transparent kommuniziert und vereinbart sind“.
Weuthen legt eine überzeugende Arbeit vor. Die Studie ist sehr sorgfältig ausgeführt und die Ergebnisse sind reichhaltig. Unter anderem eröffnet sie einen klar definierten Raum für weiterführende Fragestellungen. Wie kann instrumentaler und vokaler Einzelunterricht gestaltet werden, sodass möglichst eine Übereinstimmung im Blick auf die Aufmerksamkeitsoptionen gelingt? Weuthen plädiert dafür, die Perspektive der Lernenden „als mindestens ebenso relevant und gültig“ zu betrachten „wie die Perspektive der Lehrenden auf den Unterricht und das Lernen der Schüler:innen“.
Matthias Goebel