@ Maren Blaschke

Büring, Markus / Martin Theile

Ausflug mit dem Tandem

Co-Teaching im JeKits-Unterricht

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 3/2018 , musikschule )) DIREKT, Seite 08

„Unterrichten im Team – Rollenverständnis, Chancen und Gelingensbedingungen“ war der Titel eines Workshops im Rahmen des JeKits-Praxistags 2017 in der Universität Bielefeld. Die Referenten Markus Büring (Universität Bielefeld) und Martin Theile (JeKits-Stiftung) diskutierten dort mit TeilnehmerInnen Modelle von Co-Teaching in multiprofessionellen Teams. Im JeKits-Programm spielt das Unterrichten im Team insbesondere im ersten JeKits-Jahr eine wichtige Rolle.

Aufs Tandem steigen und in die gleiche Richtung blicken

Wenn vom Tandem die Rede ist, dann denken Instrumentallehrkräfte im JeKits-Programm an die Kooperation mit Grundschullehrkräften. Das Tandem steht als sprach­liches Bild im pädagogischen Kontext für gemeinsame Anstrengungen, gleiche Ziele und effektive Fortbewegung. Man verspricht sich Synergieeffekte, nicht allein durch die prognostizierte Kompetenzergän­zung der Lehrkräfte. Aber wie kann diese Kooperation gelingen und so der gemeinsame Ausflug zu einem Erlebnis für alle Beteiligten werden?
Für den Anfang der Reise einer gelungenen Lehrkräfte-Kooperation kann das Tandem für zwei gleichstarke Partner stehen, die unterwegs in eine idealisierte (Bildungs-) Landschaft sind, in der Lernorte miteinander vernetzt sind und so Kindern und Jugendlichen ganzheitliches und lebensweltliches Lernen ermöglicht wird.1 Ist das Tandem gut in Schuss, dann wird es leichtgängig und beide PartnerInnen treten beherzt in die Pedale. Die Person am Lenker behält den Weg im Blick, die andere hat Zeit, um sich umzuschauen und die Lenkende auf Interessantes am Wegrand hinzuweisen.
Sprachliche Bilder wie diese prägen unser Denken und Handeln. Natürlich sollten beide PartnerInnen vor Beginn der Reise das Fahrradgetriebe geölt, das Ziel bestimmt und die Sitzposition geklärt haben. Anderenfalls wird die Reise zumindest beschwerlich, wenn nicht gar unmöglich. Doch was vermeintlich nach außen hin wie ein gelungener Ausflug erscheint, kann auch zum Symbolbild für erstarrte Rollenbilder werden: Einer lenkt, einer tritt in die Pedale. Denn das Tandem sicher im Griff zu haben, kostet nicht selten Zeit, Mühen und manchmal auch Rückschläge. Verständigung über gemeinsame pädagogische Ziele, eine wirkliche und umfassende Verknüpfung der Lehr- und Lernangebote sowie eine gezielte Auswahl von PartnerInnen2 gehören unter anderem dazu. Hier sind Mut und Experimentierfreude gefragt, die Art der Kooperation zu überdenken bzw. andere Kooperationsmuster zu nutzen und dabei – um im Bild zu bleiben – in andere Gänge zu kommen.

Der Blick auf sich selbst und auf den Tandem-Partner

Der „Ausflug mit dem Tandem“ beginnt für Lehrkräfte im JeKits-Programm mit einer selbstkritischen Frage nach den eigenen Kompetenzen, nach Stärken und nach Schwächen. Darum ist es sinnvoll, zu Beginn der Zusammenarbeit die Art und den Umfang dieser Reise gemeinsam in den Blick zu nehmen. Doch wie sollten Lehrkräfte mit unterschiedlichen Professionen einander begegnen? Wendy W. Murawski empfiehlt zum Einstieg ein Gedankenexperiment zur Perspektivübernahme:3
) Wie kann die Tandem-Partnerin oder der -partner unterstützt werden?
) Was wünscht man sich selbst an Unterstützung für den eigenen Bereich?
Auf der Ebene der Teamentwicklung der beiden PartnerInnen erscheint vor allem eine respektvolle Beziehung notwendig, die durch Akzeptanz, Anerkennung, Vertrauen und Wertschätzung geprägt ist.4 Aus diesem Grund sollten Kommunikationsstrukturen unter anderem zur Entwicklung einer gemeinsamen Unterrichtskultur geschaffen und festgelegt werden. Daneben haben Absprachen von Zuständigkeiten und klare Aufgabendifferenzierungen Auswirkungen auf die unterschiedlichen Rollen der beiden Lehrkräfte.5
Besonders gut gelingt der Einstieg in die Teambildung, wenn zwischen den beiden Lehrkräften deutlich wird, wo es gemeinsame Schnittstellen bei der musik- bzw. tanzbezogenen Profession gibt oder wo auf eine bestehende Unterrichtskultur aufgebaut werden kann. Das können bereits ein­geführte Regeln, Rituale oder Arbeitsweisen sein, die für den JeKits-Unterricht übernommen werden können. Andererseits erleichtert es den Einstieg in ein Team, wenn zum Beispiel Unterrichtsinhalte aus JeKits in anderem Unterricht Verwendung finden oder wenn es kurze Informationswege gibt, die einen Austausch über Lernvoraussetzungen der Kinder und einen gemeinsamen Kontakt zu den Eltern ermöglichen. Wenn das Tandem Fahrt aufnehmen soll, dann geht es nur über ein paritätisches Ver­hältnis der beiden Lehrkräfte. Das heißt unter anderem, die unterschiedliche „Professionalität bei einem Mindestmaß an gemeinsamen Vorstellungen für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und der Schule sowie interprofessionelle Kollegialität“ anzuerkennen.6 Kollegialität wird erst dann offensichtlich, wenn beiden deutlich wird, dass es trotz unterschiedlicher Professionen und Expertise eine pädagogische Basis gibt. Nur dann schauen beide Tandem-PartnerInnen wirklich in die gleiche Richtung. Dafür muss es Vertrauen geben: Vertrauen, dass die Tandem-Partnerin oder der -partner fähig ist, pädagogische, didakti­sche und methodische Entscheidungen zu treffen bzw. dazu beizutragen, Entscheidun­gen für die Gruppe zu modifizieren. Aus diesem Grund kommt der gemeinsamen Planung eine besondere Bedeutung zu.

Co-Planungen

Tandem-PartnerInnen sollten sich die Zeit nehmen, um gemeinsam zu planen und die gemeinsamen Planungsentscheidungen mitzutragen. Denn nur dann, wenn die gegenseitigen Abstimmungen proaktiv sind, sie also nicht erst in der akuten Unterrichtssituation gefällt werden müssen, sind sie als gemeinsame Haltung für Kinder in der Unterrichtssituation erfahrbar. Fortfüh­rende Co-Planung stärkt das Tandem, lässt Freiräume individueller Weiterentwicklung der PartnerInnen offen und schafft eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der Zeit für Kritik und Wünsche aller Beteiligten Platz hat. Das Tandem ist dann erfolgreich, wenn die Aufgaben und Verantwortlichkeiten so verteilt sind, dass beide gleichermaßen Qualitätszeit in den Unterricht mit den Kindern investieren können.

Manchmal kann es sinnvoll sein, das Tandem zu erweitern, um in andere Gänge ­schalten zu können.

Im Gegensatz dazu erhält das Tandem ei­ne „Unwucht“ bei zu wenig gemeinsamer Planungszeit, weil es meistens zulasten eines Tandem-Partners geht. So sagten beispielsweise 98 Prozent der befragten Musikschullehrkräfte in einer Untersuchung der JeKi-Begleitforschung,7 sie bereiteten den Unterricht alleine vor. Und 74 Prozent gaben an, sie führten den Unterricht alleine durch, obwohl eine Grundschullehrkraft anwesend sei. Diesem Befund hat das JeKits-Programm Rechnung getragen, indem es den Lehrkräften mit der sogenannten Koordinationspauschale zusätzliche zeitliche und somit auch finanzielle Ressourcen für strukturierte Planungsbesprechungen zur Verfügung stellt.
Tandem-PartnerInnen sollten also gemeinsame Anstrengungen in die Schaffung von Freiräumen investieren, die gemeinsame Ab­sprachen ermöglichen. Das müssen nicht nur Zeiten außerhalb des Unterrichts sein, denn auch während des Unterrichts können kurze Phasen zur Planung, Reflexion oder Evaluation genutzt werden, damit die SchülerInnen sich – bildlich gesprochen – nicht im Leerlauf befinden.

Tandem-Erweiterung: in andere Gänge kommen

Ein Befund von Studien im Ganztagsschulbetrieb war, dass „es mit zunehmender professioneller Heterogenität zu einer Polarisierung der alltäglichen Zuständigkeiten und Einsatzzeiten kommt“.8 Diese Polarisierung zeigte sich im häufig von der JeKi-Begleitforschung beobachteten Unter­richtsmodus „Assistieren“.9 Dabei kommt es auf die Qualität und die Richtung des Assistierens an. Ist es so, dass – bildlich gesprochen – einer strampelt und sich der andere zurücklehnt?10 Das wäre für die gemeinsame Reise ineffektiv und zumindest für einen der beiden Partner ermüdend. Damit das Tandem Fahrt aufnehmen kann, tun die PartnerInnen gut daran, sich besser aufeinander einzustellen. Im übertragenen Sinn bedeutet das: Wenn jeder der beiden bei seiner Expertise und seinen isolierten Aufgabenzuschreibungen bleibt, dann wird es möglicherweise einen nur geringen Lern­erfolg für die Gruppe geben.
In dieser Situation kann es sinnvoll sein, das Tandem zu erweitern, um in andere Gänge schalten zu können. Dazu sollten sich die Tandem-PartnerInnen fragen, welche Kooperationsmuster des gemeinsamen Unterrichtens sie in den Blick nehmen und ausprobieren wollen. Lynne Cook und Marilyn Friend11 geben mehrere solcher Muster vor (siehe Tabelle).

Die Muster wurden zwar für die Zusam­men­arbeit von Regelschul- und Sonderschullehrkraft entwickelt, lassen sich aber auch auf den JeKits-Unterricht übertragen. Obwohl die Autorinnen keine gewichtete Abstufung vornehmen, kann eine Zunahme der paritätischen Aufgabenverteilung beobachtet werden.

Vom Tandem- zum Gruppenausflug

Zu Beginn des Ausflugs mit dem Lehrkräfte-Tandem bestand die Aufgabe zunächst darin, überhaupt miteinander Fahrt aufzunehmen und in die gleiche Richtung zu blicken. Oder einfach gesprochen: das Rad in Gang zu setzen. Doch schnell werden die Ansprüche höher. Man möchte schneller sein, mehr sehen, mehr erleben. Durch geeignete Wahl von Kooperationsmustern kann dieser Anspruch umgesetzt werden. Und man stellt während der Fahrt fest: Man ist nicht allein bei diesem Ausflug. Aus dem Tandem kann schnell eine Gruppe, ein Konvoi werden, wenn weitere Akteure zu berücksichtigen sind, wie zum Beispiel SchulbegleiterInnen eines Integrationskindes. Denn in multiprofessionellen Teams benötigen vermutlich alle einen eigenen fahrbaren Untersatz für die gemeinsame Reise.

1 vgl. Maren Wichmann: „Vom Einzelkämpfertum zur Kooperationskultur. Multiprofessionelle Team­arbeit an Ganztagsschulen“, in: Ute Erdsiek-Rave und Marei John-Ohnesorg (Hg.): Individuell för­dern mit multiprofessionellen Teams (= Schrif­ten­reihe des Netzwerks Bildung), Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2014, S. 60-65, hier: S. 65.
2 vgl. Wichmann, a. a. O., S. 64.
3 Wendy W. Murawski: Collaborative Teaching in Elementary Schools. Making the Co-Teaching Marriage Work!, Corwin, Thousand Oaks 2010.
4 Ursula Carle: „Gelingende Zusammenarbeit multiprofessioneller Teams an Ganztagsschulen“, in: Ute Erdsiek-Rave und Marei John-Ohnesorg (Hg.): Individuell fördern mit multiprofessionellen Teams (= Schriftenreihe des Netzwerks Bildung), Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2014, S. 66-72, hier: S. 69.
5 vgl. Michelle Jutzi/Marianne Schüpbach/Kathrion Thomann: „Bedingungen multiprofessioneller Kooperation in zehn Schweizer Tagesschulen“, in: Marianne Schüpbach/Ana Slokar/Wim Nieuwen­boom (Hg.): Kooperation als Herausforderung in Schule und Tagesschule, Haupt, Bern 2013, S. 95-110, hier: S. 99.
6 Wichmann, a. a. O., S. 63.
7 Sabrina Kulin/Melanie Özdemir: Lehrer-Kooperation im JeKi-Kontext: Erwartungen und Umsetzungen, 2011, www.b-em.info/index.php?journal=ojs&page=article&op=view&path%5B%5D=61&path%5B%5D=151 (Stand: 30.4.2018); vgl. Ulrike Kranefeld: „Assistieren. Rekonstruktion eines Kooperationsmusters im Lehrenden-Tandem im Programm ,Jedem Kind ein Instrument‘“, in: Ulrich Riegel/ Klaas Macha (Hg.): Videobasierte Kompetenzforschung in den Fachdidaktiken (= Fachdidaktische Forschungen, Bd. 4), Waxmann, Münster 2013, S. 232-247.
8 Heinz Günter Holtappels/Karin Lossen/Lea Spil­le­been/Katja Tillmann: „Schulentwicklung und Lehrerkooperation in Ganztagsschulen. Konzeption und Entwicklungsprozess als förderliche Faktoren der Kooperationsentwicklung?“, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Thema: Ganztagsschule – neue Schule? (= Sonderheft 15/ 2011); zit. nach Carle, a. a. O., S. 67.
9 Kranefeld, a. a. O.
10 vgl. Stefanie Dues/Gilla Eibeck/Christine Hart­man-Hilter: JeKi elementar – Grundlagen, Materialien, Ideen, Schott, Mainz 2011.
11 Lynne Cook/Marilyn Friend: Co-Teaching: Principles, Practices, and Pragmatics (= quaterly meeting of the New Mexico Public Education Department Special Education Meeting), Albuquerque 2004; dt. Übers. Markus Büring.