© China Youth Music Competition

Zhang Yong / Ulrike Kniesner

Austausch und Verständnis

Geschichte und Hintergründe des China Youth Music Competition

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2024 , Seite 12

Mehr als zehn Jahre Mitarbeit im Kontext des Beijing International Music Competition – eines professionellen, internationalen Wettbewerbs für klassische Musik – brachten für Zhang Yong, Vorsitzender des China Youth Music Competition (CYMC), und sein Team die Erkenntnis mit sich, dass es in Bezug auf die künstlerische Ausbildung in China im Vergleich zum allgemein sehr hohen internationalen Niveau noch große Defizite gibt.

Zahlen aus den Jahren 2013/14 legen nahe, dass es etwa 40 Millionen junge MusikschülerInnen in China gibt. Die chinesische Regierung bemüht sich darum, flächendeckend musikalische Bildung zu fördern. Beispielsweise können SchülerInnen mit besonderen musikalischen Leistungen zusätzliche Punkte sammeln, um so ihre Chancen zu erhöhen, an den besten Grundschulen, Mittelschulen oder Universitäten aufgenommen zu werden. Der allgemeinen Musikerziehung in China fehlen jedoch systematisierte Standards und Zerti­fizierungen. Die grundsätzlich ermutigenden Maßnahmen der Regierung laufen Gefahr, Mittel zum Zweck für MusikschülerInnen zu werden, um sich mittels einiger Extrapunkte den Eintritt ins College zu ebnen.  Solch interessengesteuertes Musiklernen vernachlässigt die eigentliche Essenz des Musizierens.

Bildungsidee

Vor diesem Hintergrund begannen im Jahr 2013 Zhang Yong und sein Team, die Idee eines Jugendmusikwettbewerbs zu entwickeln. Dabei sollte nicht das Wettbewerbsprinzip im Vordergrund stehen, sondern vor allem sollten junge Musiklernende zu ernster Beschäftigung mit Musik und ihrer Wiedergabe angeregt werden.
Im Zuge eingehender Recherchearbeit zu den großen und namhaften, weltweit veranstalteten Jugendmusikwettbewerben zog letztendlich „Jugend musiziert“ das größte Interesse des Teams rund um Zhang Yong auf sich. Das über Jahrzehnte erfolgserprobte deutsche musikpädagogische Projekt mit seiner umfassenden Vielfalt an Wettbewerbskategorien, mit dem im Dreijahrestakt angelegten Wechsel der Kategorien und den sehr frei gestalteten kammermusikalischen Kategorien schien mit Zhang Yongs Erwartungen und Ideen für China zu korrelieren.
Aus diesem Grund wendete sich das Team 2014 an den Deutschen Musikrat. Es folgten eine Reihe intensiver Gespräche, bei denen überlegt wurde, ob und welche Anpassungen an die lokalen Gegebenheiten unter Beibehaltung von Struktur und Philosophie von „Jugend musiziert“ erforderlich wären, wie die Unabhängigkeit des Wettbewerbs gewährleistet werden und gleichzeitig ein größtmögliches Maß an professioneller Unterstützung aus Deutschland einfließen könnte. All diese Anstrengungen mündeten 2016 in die erste erfolgreiche Veranstaltung des Wettbewerbs in Peking und Shanghai.

Weites Spektrum

Im Bereich der Amateur-Jugendmusikwettbewerbe Chinas gelang dem CYMC 2016 eine Doppelpremiere: Er war der erste Wettbewerb mit einem umfassenden Spektrum an Kategorien und der erste, in dem Kammermusik Eingang in die Wettbewerbsstatuten fand. Im Laufe seines Bestehens hat der CYMC, der dem Modell und Wettbewerbs­regelwerk von „Jugend musiziert“ folgt, wesentlich dazu beigetragen, die Wertigkeit des Genres Kammermusik in China positiv zu beeinflussen. Damit wird nochmals deutlich, wie fruchtbringend das deutsche musikpädagogische Projekt „Jugend musiziert“ wirkt.
Angesichts vieler praktischer Schwierigkeiten gibt das CYMC-Organisationskomitee sein Bestes, um den Teilnehmenden in jeder Hinsicht Hilfestellung anzubieten – aus Überzeugung, musikalische Bildung zu fördern, und nicht mit dem vordergründigen Ziel des Talentescouts. Ziel ist beispielsweise die Etablierung eines Netzwerks über den offiziellen WeChat-Account des CYMC, der die Teilnehmenden bei der Suche nach EnsemblepartnerInnen unterstützt. Der CYMC verfügt inzwischen über eine umfangreiche Jury-Datenbank mit hochkarätigen MusikpädagogInnen. Diese Ressource steht zum Teil auch den TeilnehmerInnen offen für Fragen zur Programmauswahl und für Repertoirevorschläge.

Regularien und Besonderheiten

Um den Geist von „Jugend musiziert“ noch besser zu vermitteln, reisen – wie in einer Vereinbarung mit dem Deutschen Musikrat festgelegt – auf Einladung des CYMC jährlich mindestens vier „Jugend musiziert“-JurorInnen nach China, wo sie Jurytätigkeiten in Provinz- und Nationalwettbewerben übernehmen. Im Anschluss an den Wettbewerb steht es den jungen TeilnehmerInnen gemeinsam mit Eltern und Lehrern offen, ein Beratungsgespräch mit den JurorInnen in Anspruch zu nehmen. Dieses Angebot ist und bleibt bis heute in China beispiellos.
Was die Anerkennung der Leistungen der PreisträgerInnen betrifft, gibt es im Vergleich zu konventionellen Wettbewerben in China weniger materielle Belohnungen, sondern vor allem die Möglichkeit, zu konzertieren und sich weiterzubilden. Im Rahmen der jährlich im Anschluss an den Nationalwettbewerb stattfindenden gemeinnützigen Austauschinitiative Tage der deutsch-chinesischen Begegnung der Kammermusik haben zehn ausgewählte chinesische PreisträgerInnen Gelegenheit, gemeinsam mit deutschen BundespreisträgerInnen in Deutschland an einem Kammermusikkurs mit anschließender Konzertreise teilzunehmen.
Die nach Deutschland reisenden chinesischen PreisträgerInnen sind in der Regel zwischen neun und 15 Jahre alt. Sie, die bereits mehrere Jahre in China über das Erlernen ihres Ins­truments mit der klassischen westlichen Musik in Berührung gekommen sind, haben so Gelegenheit, über ihre bisherigen Erfahrungsmöglichkeiten hinaus in die westliche Musikkultur einzutauchen. Die Initiative bietet auch Gelegenheit zu Begegnung und Austausch mit Gleichgesinnten aus dem jeweils anderen Kulturkreis. Solche Verständigung über die Musik wirkt in ihr Musizieren hinein.
Immer wieder gibt es auch PreisträgerInnen, die sich aufgrund der Erfahrung in Deutschland spontan dazu entschließen, ein professionelles Musikstudium zu verfolgen – anders als es das konventionelle chinesische System vielleicht für sie vorsehen würde. Auf der anderen Seite erhalten junge deutsche MusikerInnen die Möglichkeit, aus erster Hand tiefere Einblicke in eine fern erscheinende Kultur zu gewinnen.
Aufgrund der äußerst unterschiedlichen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungsstandards der einzelnen Provinzen und Regionen in China kann der Wettbewerb nur mit Geduld und höchster Achtsamkeit von Jahr zu Jahr schrittweise wachsen. Es verlangt größtes Fingerspitzengefühl, in den Provinzen gleichgesinnte Partner für die Durchführung des regionalen Wettbewerbs zu finden, die gewährleisten können, Struktur und Grundwerte des Wettbewerbs nicht zu kompromittieren.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2024.