Bitzan, Wendelin

Auswendig lernen und spielen

Über das Memorieren in der Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Peter Lang, Frankfurt am Main 2010
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 55

Egal ob bei Laien- oder BerufsmusikerInnen: Das Auswendiglernen ist eine wichtige Fertigkeit in der Musik. Die neuronalen und emotionalen Prozesse oder Techniken des Übens und Memorierens aber passieren oft unreflektiert oder unbewusst. Eben dieses „Wie“ des Memorierens stellt Wendelin Bitzan in seiner Arbeit in den Mittelpunkt und betrachtet das Phänomen hier sowohl aus neurobiologischer als auch aus lernpsychologischer Sicht. Somit ist ein vielseitig einsetzbares Buch entstanden.
Mit Informationen zur Geschichte des Auswendiglernens bis hin zur heute gängigen Praxis und mit grundlegendem Wissen über Vorgänge beim Musizieren ist besonders die erste Hälfte des Buchs auch für interessierte Laien angenehm lesbar geschrieben und immer wieder mit geschichtlichen Anekdoten angereichert. Besonders hilfreich ist Bitzans Buch jedoch für praktizierende MusikerInnen, Instrumentallehrkräfte und SchülerInnen.
Leicht nachvollziehbar beschriebene neurologische Vorgänge lassen den Musiker das eigene Üben aus einer neuen Perspektive betrachten. Beim Lesen bereits bestätigt sich Bitzans Argumentation, dass viele Prozesse des Memorierens dem Üben schon immanent sind und lediglich ins Bewusstsein gebracht werden müssen. Hilfreich sind diese Ausführungen für MusikerInnen, die selbst unterrichten, da einleuchtend die Unterschiede im Übeverhalten von Profi- und Laienmusikern dargestellt werden, wobei Kindern hier besondere Aufmerksamkeit zukommt. SchülerInnen können andererseits mit dem Buch Beweggründe für einen bestimmten Aufbau des Unterrichts nachvollziehen oder sich eigenständig ans Memorieren begeben und ihr eigenes Tun mit Distanz betrachten und so Bezüge zur musikalischen Lerntheorie herstellen.
Das Buch kann trotz seiner theoretischen Anteile durchaus als Praxishandbuch verstanden werden, insbesondere durch die Bewusstmachung neuronaler und emotionaler Prozesse während des Übens, die in ständiger Wechselwirkung zueinander dargestellt werden. Hier werden unter anderem das Phänomen des Blackouts behandelt, Strategien zur Aufführungsvorbereitung beschrieben und Phasen des Übens in ihrem Verlauf analysiert. Praktisch nutzbar sind die Darstellungen verschiedener Übe- und Memorierstrategien, verschiedener Arten des Umgangs mit dem Notentext oder Methoden der Annäherung an diese Literatur. Neben vielen hilfreichen Tipps im gesamten Buch widmet sich ein Kapitel exemplarisch der Einstudierung von Bachs Präludium in E-Dur.
Wer sich ausführlicher mit dem Memorieren als Fertigkeit in der Musik beschäftigen möchte, findet dazu zahlreiche Anregungen im letzten Kapitel „Literatur zum Auswendiglernen“, aber auch in den ausführlichen Fußnoten und in der Bibliografie. Ein unbedingt empfehlenswertes Buch.
Judith Franke