Herbst, Sebastian

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Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 4/2023 , Seite 37

Zu Beginn des Jahres hat das Institut für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen in Kooperation mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der bundesweiten Vernetzung der Initiativen für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud) eine Studie zu studentischen Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vorgelegt. Befragt wurden 11000 studentische Beschäftigte im gesamten Bundesgebiet. Der Titel „Jung, akademisch, prekär“ lässt erahnen, zu welchen Ergebnissen die Studie kommt.
Neben einer geringen Bezahlung (häufig knapp über Mindestlohn) gehört zu den zentralen Ergebnissen, dass Standards zur Regulierung von Arbeitsbeziehungen (z. B. gesetzliche Mitbestimmung und Tarifverträge) nicht eingehalten werden und damit Rechte der studentischen ArbeitnehmerInnen „systematisch […] unterlaufen werden“. Die Mehrheit der Beschäftigten nehmen ihren Urlaubsanspruch nicht wahr, arbeiten Krankheitstage nach und leisten Überstunden, wozu sie teils explizit durch Vorgesetzte aufgefordert werden. Dabei übernehmen sie regelmäßig Aufgaben, „die rechtlich in den Verantwortungsbereich des technischen oder administrativen Personals fallen und nach TV-L entlohnt werden müssten“.
Sie arbeiten teils monatelang ohne Bezahlung und Arbeitsvertrag, wenn der Arbeitsvertrag durch andauernde Verwaltungsprozesse noch nicht vorliegt. Dies kommt vor allem bei Anschlussbeschäftigungen vor – also oft, denn die Anstellung von Studierenden erfolgt zwar häufig über einen längeren Zeitraum, aber in Kettenverträgen mit einer durchschnittlichen Vertragslaufzeit von einem Semester.
Geringere Bezahlung, Befristungen und weniger Regulierungen werden von Arbeitgeberseite vor allem mit der zusätzlichen Qualifizierung begründet, die Studierende im Rahmen der Tätigkeiten erhalten. Die AutorInnen der Studie kritisieren das scharf: „Unsicherheit ist kein Innova­tionsmotor, sondern ein soziales Risiko. Der Staat als Arbeitgeber sollte Vorbild für die Einhaltung von Arbeitnehmer*innenrechten durch Mitbestimmung und Tarifverträge sein.“ Ohnehin erscheint die Qualifizierung ein skurriles Argument für schlechtere Arbeitsbedingungen zu sein, denn Qualifikationsmöglichkeiten sollten – auch im Interesse der Arbeitgeber – Teil jeder bezahlten Berufstätigkeit sein.
Den Studierenden ist die Qualifizierungsmöglichkeit sehr bewusst. Auch wenn zunächst finanzielle Gründe im Vordergrund stehen, wird mit steigendem sozioökonomischen Status der Eltern auch das Motiv der Qualifizierung für die studentischen Beschäftigten wichtiger. Platz zwei der Erwerbsmotive belegt der Wunsch nach positiven Auswirkungen auf den Lebenslauf, gefolgt von persönlichen Interessen und dem Wunsch, etwas zu lernen. Wenn also zu Recht positive Auswirkungen auf die Karriere angenommen werden, stellt sich die Frage, wer die Chance dazu erhält?
Überdurchschnittlich häufig kommen studentische Beschäftigte aus Akademikerfamilien. Sie sind häufiger weiblich (58,4%) als männlich (38,9%). Der Anteil von Studierenden mit Migrationshintergrund ist etwas geringer als unter der Gesamtzahl der Studierenden. Am interessantesten dürfte jedoch der Fakt sein, dass nur 36,7% der Befragten eine Anstellung durch Bewerbung bekommen haben. Die Anwerbung für studentische Beschäftigungen erfolgt hingegen häufig durch persönliches Ansprechen oder auf anderen eher informellen Wegen, wobei Studierende mit Mig­rationshintergrund, Frauen und nicht-binäre Studierende sowie diejenigen, deren Eltern einen formal niedrigeren Berufsabschluss haben, häufiger angeben, über eine Ausschreibung und Bewerbung an die Stelle gekommen zu sein.
Der Anteil der befragten studentischen Beschäftigten in musikbezogenen Studiengängen geht aus der Studie nicht hervor. Allerdings gelten viele Rahmenbedingungen als Vorgabe eines Landes fächerunabhängig. Die Ergebnisse sollten Anlass zur angemessenen Reflexion über die Anstellungspraxis von studentischen Beschäftigten auch in musikbezogenen Studiengängen und Forschungsgruppen geben – ins­besondere dann, wenn wir so intensiv über Nachwuchsmangel reden wie nie zuvor.
Zum einen können Beschäftigungen dieser Art eine erste Begegnung mit musikbezogenen Berufsfeldern darstellen. Zum anderen können studentische Beschäftigungen als Türöffner, aber auch Lustmacher für wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeiten an Hochschulen und darüber hinaus sein. Statt einen bevorzugten Personenkreis der Studierenden abzuschrecken, sollten geeignete Studierende in studentischen Beschäftigungen unter angemessenen Rahmenbedingungen gefördert werden. Dies ist eine Investition in die Zukunft der Musik(hoch)schulen und trägt schon jetzt maßgeblich zum Gelingen in Forschung und Lehre bei.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 4/2023.