Tervoort, Ulrike
Bewegungsspuren als zentrales Element der Stimmbildung
Kunst und Musik in integrativer Gestaltung, mit CD
Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Forschung der Autorin ist der historische Hintergrund der Gesangspädagogik und das Wissen um die physiologischen Vorgänge des Singens. Tervoort stellte sich die Frage, ob sich aus solchen Kenntnissen allein ein sinnvoller Unterricht ergibt. „Das Erlernen des sängerischen Instinkts kann dadurch nur bedingt geweckt werden.“ So kam sie auf den Gedanken, Gesang mit zeichnerischer und körperlicher Bewegung zu kombinieren in der Annahme, dass durch diese Kombination die Empfindungsfähigkeit gefördert wird.
Die Bewegungsspuren von Kinderzeichnungen sind uns immer noch vertraut. Hieraus sind auch die Heileurhythmie und die Atemschriftzeichen entstanden. Zunächst hält Tervoort (auch grafisch) die Parallele zwischen Kinderkritzelzeichnungen und Dirigierbewegungen fest. Die Bewegungsfolge soll die Gestaltung, die Stimmtechnik, die Sensibilisierung und die Wirkung der Stimme beeinflussen.
Anhand von acht Fallbeispielen beobachtet sie über einen mehrere Wochen umfassenden Zeitraum die Entwicklung der Stimmen ihrer Probanden unter den oben genannten Aspekten. Zunächst ist festzuhalten, dass alle gleichzeitig singen und zeichnen konnten. Der Klang der Stimme verbesserte sich deutlich. Die Wirkung des parallelen Zeichnens war allgemein festzustellen in der Regulierung der Spannung, im Erlernen unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten, in der Steigerung der Aufmerksamkeit und in der Motivation, weil individuelle Vorlieben berücksichtigt wurden. Auffälligkeiten der Stimmen verschwanden im Laufe der Zeit. Die Probanden fanden es angenehm, beim Singen zu zeichnen, weil das Zeichnen vom Singen ablenkte und sich dadurch Hemmungen abbauen konnten.
Das Buch enthält zahlreiche Grafiken und Tabellen, die die empirische Forschungsarbeit belegen und nachvollziehbar machen. Die medialen Zeichenübungen von Paul Klee sind ebenso abgebildet wie die aus den Kritzelbildern selbst entwickelten Zeichen. Fragebögen wurden entwickelt, einmal um die Stimmen in der Ausgangssituation und ihrer späteren Entwicklung zu beschreiben, dann aber auch andere, auf denen die Probanden ihre Eigenbeobachtungen festhalten bzw. beschreiben konnten.
Nicht nur im Bereich der Stimmpädagogik, sondern auch im Bereich des professionellen Gesangs ist die Wichtigkeit der parallelen Körperbewegung längst festgestellt worden. Es wundert daher nicht, wenn mit Hilfe paralleler Bewegungen stimmlich bessere Ergebnisse erzielt werden. Erfreulich, dass diese Verbindung sich hier im Zusammenhang mit der Kunst, der Zeichnung herstellen lässt. Vor dem Hintergrund, dass im Gesang die zurückgenommene äußere Bewegung als innere Bewegtheit bleibt, ist Tervoorts Ansatz wohl für alle GesangspädagogInnen ein wichtiger und wertvoller.
Annette Brunsing