Jacobsen, Petra
Bunte Reifen und gewaschene Töne
Singen trotz(t) Corona: Wiedereinstieg ins Singen in Schule und Musikschule
Lange konnte an Schulen und Musikschulen nicht so gesungen werden, wie wir es gewohnt waren. In manchen Bundesländern war sogar das Singen im Freien mit Abstand nicht erlaubt. Jetzt wird es Zeit, wieder genauer hinzuhören und auch die Kinder spielerisch anzuleiten, nicht irgendwie zu singen, sondern am eigenen Stimmklang zu arbeiten und darüber hinaus auf den Chorklang zu achten.
Die Chorklasse 2c der Grundschule Godshorn steht auf markierten Punkten im doppelten Halbkreis und singt: Im Mai 2021 noch mit der halben Klasse, aber hoffentlich bald wieder komplett. Vor ihnen, ausgerüstet mit einem mobilen Sprachverstärker, ihre Lehrerin. – Wenn es nicht gerade regnete oder schneite, verbrachten wir so einen Großteil des Chorklassenunterrichts im vergangenen Schuljahr. Wir hatten Lieder gewählt, die wir auch mit Hilfe der Deutschen Gebärdensprache gebärdeten oder mit Handzeichen solmisierten. So konnten wir an den Liedern, die auf dem Schulhof oder im Digitalunterricht gesungen wurden, auch drinnen weiterarbeiten und das innere Hören (Audiation) fördern. Die Kinder lernten auf diese Weise viele neue Lieder und retteten so den Spaß am Singen durch die Pandemie.
Als schwierig erwies sich allerdings die Akustik im Freien – und damit die Hörkontrolle. Asphalt als Untergrund und eine Begrenzung durch wenigstens eine Wand waren hilfreich. Weiterhin unterstützend waren gemeinsame Bewegungen oder begleitende Instrumente. Als für die Stimme der Lehrperson sehr entlastend erwies sich der bereits genannte Sprachverstärker. Damit kann für alle Kinder gut hörbar ganz locker leise gesprochen oder gesungen werden, ohne die Stimme zu forcieren. Doch die einzelnen Kinderstimmen erreichen natürlich nicht so gut unser Ohr wie in einem geschlossenen Raum. Was können wir also tun, um das genaue Hinhören spielerisch zu fördern, auch und gerade wenn wir endlich wieder in geschlossenen Räumen singen dürfen?
Liedauswahl und Unterrichtsgestaltung
Für unsere Chorklasse habe ich den kleinen Kanon Obstsalat ausgewählt.1 Das Lied besteht aus vier zweitaktigen Motiven, die rhythmisch und melodisch einfach und deutlich unterscheidbar sind. Dadurch eignet es sich für den Umgang mit Notation und Solmisation. Der Text ist elementar und auch für Kinder mit wenig Deutschkenntnissen sinnlich erfahrbar und leicht zu lernen. Die vier Farben der besungenen Obstsorten erlauben es, mit farblich passenden Gymnastikreifen die Plätze für die jeweilige Obstsorte für verschiedene Spiele zu kennzeichnen und dadurch Abstände beim Singen einzuhalten. Wie immer sollen im Chorklassenunterricht die drei Bereiche Stimmbildung, Chorsingen und Musiktheorie/Hörerziehung miteinander verbunden werden.
Die Lehrkraft kündigt einen „musikalischen Obstsalat“ an und startet mit einer kleinen Stimmbildungsgeschichte.2 In meiner Chorklasse arbeite ich mit sogenannten Ampelkarteikarten: Entsprechend dem Grundaufbau von Stimmbildung beginnt die Kartei mit roten Karten zum Bereich Haltung, es folgen gelbe zur Atmung, den Abschluss bilden grüne Karten zur Arbeit an der Stimme.
Zunächst lockern wir unseren Körper bei der Obsternte: Wir tragen einen großen, imaginären Korb vor der Brust (Weitung des Oberkörpers) und stellen den Korb unter einem Apfelbaum ab. Dort strecken wir uns, um Äpfel zu pflücken (Ampelkarteikarte 17). Wir probieren es mal mit der einen, mal mit der anderen Hand, mal mit beiden – und kommen tatsächlich ohne Leiter aus. Zwischendrin legen wir die Äpfel immer wieder vorsichtig im Korb vor unseren Füßen ab. Dann gehen wir zum Pflaumenbaum.
Zwischendrin lassen wir immer wieder den Duft der Äpfel und Pflaumen tief in unseren Körper einströmen (Ampelkarteikarte 34). Dabei hält eine Hand das Obststück, die andere begleitet in einer ruhigen Bewegung den Weg des Atems nach unten und zur Seite. Auch das Summen der Insekten begleitet uns und wir imitieren Hummeln (tiefe Lage: „mmm“), Fliegen (mittlere Lage: „www“) und Mücken (hohe Lage: stimmhaftes „sss“).
Oh, da ist auch ein Johannisbeerstrauch! Die Lehrkraft zupft ein paar Rispen mit roten Johannisbeeren ab und verteilt sie an die Kinder: Die Höhe der Hand beim Herüberreichen der klingenden Beere auf resonanzreichen Klangsilben (z. B. „nu“, „nü“, „mo“) zeigt die ungefähre Tonhöhe an und die Kinder sollen die Beere auf derselben Tonhöhe annehmen, bevor sie sie in den Mund stecken.
Zum Schluss finden wir noch etwas ganz Zauberhaftes im Garten: musikalische Bananen, die an riesigen Stauden wachsen. Wir pflücken sie, stecken sie mit einem wohlklingenden „hammm“ in den geweiteten Mundraum (Ampelkarteikarte 75), kauen sie dabei genüsslich und singen dann mit einem Quintfall abwärts: „Ba-na-ne“.
1 enthalten in: Petra Jacobsen/Silja Stegemeier/Silke Zieske: CHOR:KLASSE! – Liederbuch, Edition Omega, Kirchlinteln 2009, S. 66.
2 Die Ideen dafür stammen aus Petra Jacobsen/Silja Stegemeier/Silke Zieske: CHOR:KLASSE! – Ampelkartei (= 102 Bildkarten mit Erläuterungen zur Stimmbildung). Neuauflage voraussichtlich im Frühjahr 2022 bei Schott Music.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2021.