Mellich, Christine / Maren Barber

Charlottes musikalische Abenteuer

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2007
erschienen in: üben & musizieren 4/2007 , Seite 60

Sie ist ein „geflügeltes Wesen“, hat zwei markante Hörner in Form eines musealen Stethoskops und eines Hörrohrs aus Großvaters Zeiten auf dem Kopf und sie könnte auch aus einer Nebenlinie der Biene Maja stammen: diese Charlotte, die so viele musikalische Abenteuer erlebt. Zunächst hatte Charlotte ihre Abenteuer auf den Kinderseiten des Magazins der Berliner Philharmoniker verbreitet und nun ist ihre Geschichte auch als Buch erschienen.
Die Neugier führt Charlotte zu einem alten Turm, von dem aus man weit über die ganze Stadt blicken kann und der für einen Tag ihr neues Zuhause wird. Besonders erstaunt ist Charlotte, dass in diesem Turm lauter Komponisten wohnen, was eine höchst systematische musikwissenschaftliche Vorbildung verrät. Doch dieser Turm wäre kein besonderer Turm, wenn die Komponisten hier nicht im wahrsten Sinne des Wortes „rund um die Uhr“ beschäftigt wären und zwar jede Stunde ein anderer. Der Tag beginnt um 8 Uhr morgens und dauert bis 22 Uhr – ein 16-Stunden-Tag also, der einfach auf mehrere Schultern verteilt werden muss.
Auf diese Weise versehen im Turm insgesamt 15 Komponisten ihren Dienst. Charlotte lernt so quer durch die Musikgeschichte nicht nur Bach und Mozart, sondern auch Walther von der Vogelweide und Pierre Boulez kennen. Die übrigen elf sollen hier noch nicht verraten werden, denn die Auswahl ist ein wenig ungewöhnlich. Da alle auf ihre eigene Weise mit Charlotte in eine charmante Plauderei verfallen, erfährt sie vieles über deren Leben, ihre Werke und auch die eine oder andere „Schrulligkeit“ ihres Charakters. Wenn man Charlottes Erlebnisse genau liest, kann man selbst eine Menge Musikgeschichte, musikalische Begrifflichkeiten und zahlreiche biografische Zusammenhänge über Landschaften, Städte und Länder lernen und das Gelernte auch gleich mittels eines „Mini Lexikons“ zu jedem Komponisten festigen sowie anhand einiger Rätselspiele seinen Wissensschatz kontrollieren.
Man wird Charlottes Mammut-Tag nicht in gleicher Weise mitvollziehen können, denn dann würde einem in der Tat Hören und Sehen vergehen; aber jeden Tag eine Stunde mit Charlotte zu verbringen und dann auch noch die Musik des jeweiligen Komponisten zu hören, sollte Spaß und auf den nächsten Tag gespannt machen. Auch außerhalb der Familie wäre das ab dem 2. Schuljahr eine schöne Bereicherung des Musikunterrichts. Und bestimmt bietet Charlotte Lehrerinnen und Lehrern an Musikschulen ihre Hilfe bei der Unterrichtsvorbereitung und der Gestaltung eines interessanten Informationskonzerts an.
Aber nun muss Charlotte erst einmal schlafen, denn von dem Händeschütteln mit so vielen illustren Persönlichkeiten und dem Hüpfen von einem Jahrhundert ins nächste – mal vor, mal zurück – ist sie so müde geworden, dass sie die Turmtreppen nicht mehr zu Fuß hinuntersteigen kann. Und so verlässt sie uns am Schluss des Buchs fliegend und schwebt fort in den nachtblauen Himmel.
Thomas Holland-Moritz