Herbst, Sebastian

ChatGPT und Instrumentalunterricht?

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 2/2023 , Seite 39

Ein Tool ist im Bildungsbereich zurzeit in aller Munde: ChatGPT. Dabei handelt es sich um einen auf künstlicher Intelligenz beruhenden Chatbot, welcher die von Nut­zerInnen gestellten Fragen durch künstliche Intelligenz beantwortet – im Grunde wie Alexa, Siri und Co, jedoch mit deutlich ausgebauten Möglichkeiten. ChatGPT findet vor allem auch deshalb so viel Beachtung, weil man die Gefahr von Betrug bei Prüfungsleistungen fürchtet. So hat zum Beispiel laut SWR-Bericht vom 1. Februar 2023 die Universität Tübingen Lehrende und Studierende darüber informiert, dass ChatGPT im Rahmen von Studien- und Prüfungsleistungen nicht verwendet werden darf. Mit Blick auf Prüfungsleistungen mag beruhigen, dass ChatGPT zumindest noch nicht in der Lage ist, die ausgegebenen Informationen mit Quellenverweisen zu versehen.
Aber: Die Antworten sind erstaunlich gut, manche hingegen fehlerhaft. So können etwa einige Matheformeln zuverlässig gelöst und allgemein gestellte Fragen zu musikhistorischen oder musizierpädagogischen Fakten verblüffend differenziert beantwortet werden. Andererseits werden sehr spezifische Fragen teils undetailliert bzw. überblicksartig oder auch fehlerhaft beantwortet. Auf die Frage, welche Instruktionsformen im Instrumentalunterricht verwendet werden können, erhalte ich eine differenzierte Antwort mit sechs Unterpunkten zu den Aspekten Demonstrationen, Verbalanweisungen, schriftliche Anleitungen, Audio- und Videobeispiele, spontane Korrekturen sowie systematisches Feedback. Ebenso werden mir auf die Frage, was beim Musizieren einer Mozart-Sonate auf dem Klavier beachtet werden sollte, Hinweise zu den Aspekten musikalische Struktur, Tempo, Dynamik, Phrasierung und Stimm­führung sowie Klangfarbe gegeben. Die dazugehörigen Informationen werden jedoch schon unspezifischer.
Bei dem Versuch, Musizierhinweise zu einer ausgewählten Sonate zu erhalten, verstärkt sich dieser Eindruck: „Die Phrasierung sollte so gewählt werden, dass sie die melodische Struktur unterstützt und betont.“ Eine fehlerhafte Antwort erhalte ich hingegen bei meiner Frage zum Unterschied von Viertelnoten und Halben Noten: „Eine Viertelnote dauert genau ein Viertel eines Taktes.“ Bei der Verwendung des Chatbots wird es also auf den kritisch-reflektierten Umgang mit den Antworten, mithin einen kompetenten Umgang mit Medien ankommen.
Vor dem Hintergrund teils erstaunlich guter Antworten und möglicher Zukunftsperspektiven verwundert es nicht, dass Chat­GPT so große Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und das Aufkommen von Sorgen ist ein Effekt, den es auch bei anderen technischen Neuerungen gegeben hat – man denke nur an die musikpädagogischen Diskussionen zur Einführung und Verfügbarkeit sogenannter „technischer Mittler“ zum Musikhören. Sich technischer Neuerung im Bildungs­bereich zu verschließen, dürfte jedoch ein Fehler sein. Vielmehr sollten wir uns offen und intensiv damit beschäftigen, Potenziale erkunden und proaktiv über die sinnvolle Einbindung künstlicher Intelligenz in Lehr-Lern-Kontexte nachdenken – und zwar nicht ausschließlich mit Blick darauf, wie man Betrugsfällen durch Änderung von Prüfungsformaten vorbeugen kann. Für den Instrumentalunterricht sind Prüfungen dieser Art ohnehin weniger relevant.
Wie ließe sich ChatGPT also nutzen? Beispielsweise um im Unterricht oder zuhause durch gezielte Fragen auf effiziente Weise Informationen zu bekommen, an die man auf andere Art nur sehr schwer gekommen wäre. Eine kritische Prüfung bleibt natürlich nicht aus. Unberücksichtigt bleiben sollte meines Erachtens nicht, dass zur Generierung sinnvoller Antworten bzw. zur Erschließung von Sachverhalten die richtigen Fragen gestellt werden müssen, was den NutzerInnen inhaltliches Strukturieren und Verknüpfen abverlangt – durchaus eine beachtliche Leistung.
Über das einfache Frage-Antwort-Spiel zur Wissensgenerierung hinaus ergeben sich auch schon jetzt Möglichkeiten der Bereicherung im kreativen Bereich, z. B. für das Schreiben von Songtexten – selbstverständlich ist mit den durch künstliche Intelligenz generierten Zeilen weiterzuarbeiten. Zudem könnte der Einsatz künstlicher Intelligenz Lehrenden bei der Unterrichtsvorbereitung helfen – so ist ChatGPT beispielsweise schon jetzt in der Lage, aus Texten einen Vorschlag für einen Lückentext zu generieren, der im Fremdsprachenlernen häufig Anwendung findet. Unterstützung bei der Materialerstellung zum Musizierenlernen ist künftig sicher im Bereich des Möglichen. ChatGPT kann zudem Codes für die Programmierung von Games oder Webseiten schreiben – eine nicht ganz unnütze Funktion zur Erstellung digitaler Lernszenarien oder im Marketing. Was wohl noch möglich sein wird? Wir sollten den Weg mitgestalten.

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