Betzner-Brandt, Michael
Chor kreativ. Singen ohne Noten
Circlesongs, Stimmspiele, Klangkonzepte, mit CD
Der äußerst umtriebige Chor-, Kurs- und Workshopleiter Michael Betzner-Brandt trägt in Singen ohne Noten seine partiell zuvor bereits im Eigenverlag publizierten Konzepte und Erfahrungen zusammen. Eines seiner Projekte trägt den Titel „Ich-kann-nicht-singen-Chor“: Dort geht es darum zu zeigen, dass und wie dieser Satz spielend widerlegt werden kann.
Der Band richtet sich prinzipiell an alle, die in irgendeiner Weise in Gemeinschaft singen. Anfängliche Warm-ups vereinen freiere Einsingübungen mit gruppendynamischen Spielanleitungen. Alle vorgestellten Übungen und Aktionen geben Raum für individuelle Ausgestaltung, sind erweiterbar, spielerisch in dem Sinne, dass jede Realisation stets eine neue, andere Lösung darstellt. Themen sind Gruppenfindung, Abbau von Ängsten, Anstoßen von Entwicklungspotenzialen.
Als Beispiel für eine Differenzierung einer größeren Singgruppe möge die „Introvisation“ dienen: An verschiedenen Orten des Raums finden sich Gruppen mit jeweils unterschiedlicher Funktion zusammen, in einem Zentrum treffen alle auf einem gemeinsamen Puls zusammen, an anderen Stellen gibt es lange Töne bzw. Geräusche, an weiteren Stille oder Soli. „Circlesongs“, quasi das Singen in Loops, hat Bobby McFerrin mit seinem gleichnamigen Album bekannt gemacht. Betzner-Brandt gibt dazu eine Fülle von Übungen und methodischen Tipps, die bis hin zur Aufführung reichen. Hier tauchen dann doch Noten auf, Transkriptionen von Ausgeführtem, aber auch vorab festgelegte Harmoniefolgen. Die Grenzen zwischen Improvisation und Komposition sind fließend. Mithilfe bestimmter Zählweisen an den eigenen Fingergliedern werden auch ungerade Taktarten ermöglicht. Ein weiterer Bereich bezieht sich auf verbale oder grafisch notierte experimentelle Musik, ein dritter auf Meditation und Raumklang.
Beigefügt ist eine CD-ROM mit Klangbeispielen als mp3 sowie einigen pdf-Dateien mit zusätzlichem Material. Betzner-Brandt schlägt vor, zuerst die Beispiele zu hören, um einen leichteren Zugang zu erhalten. Es sind aber eben nur Beispiele, eigene Versuche werden stilistisch und qualitativ anders klingen.
Der quasi mündliche Duktus zeigt den Fortbilder, die Darstellung erfolgt klar, knapp und präzise. Trotz der Offenheit geht es nicht um Beliebigkeit, jede Übung braucht einen definierten Rahmen, die Ausführung deutliche Spielregeln. Ein Leiter ist insofern notwendig. Die Zielsetzungen können unterschiedlich ausfallen, für den Einzelnen, für die Gruppe intern, für die Darstellung nach außen.
Chor kreativ kann einen Singeprozess initiieren, gerade bei „musikfernen“ Laien, aber auch eine traditionelle Chorarbeit anreichern und erweitern. ChorleiterInnen werden wiederholt unter methodischen und konzeptionellen Gesichtspunkten angesprochen. Dieser Band liefert ein Konzept für das massenhafte Bedürfnis zu singen.
Christian Kuntze-Krakau