Müller, Matthias

Claritop

Von der Technik zur Kunst. Lehrgang für Klarinette, Theorieheft Band I/Notenheft Band I

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Hug, Zürich 2006
erschienen in: üben & musizieren 1/2007 , Seite 67

Es ist immer wieder interessant, einem Kollegen über die Schulter zu schauen. Dies kann man jetzt indirekt bei dem Schweizer Klarinettisten und Züricher Hochschullehrer Matthias Müller, der in Claritop seinen methodischen Weg zur Ausbildung einer umfassenden Klarinettentechnik darstellt. Der Lehrgang, der keine traditionelle Klarinettenschule mit Liedern, Übungsstücken etc. darstellt, ist vornehmlich für diejenigen SchülerInnen gedacht, die bereits einige Jahre Unterricht haben und ihr Spiel vervollkommnen wollen, um z. B. für ein Studium gute Voraussetzungen mitzubringen.
Das schließt allerdings nicht aus, dass die grundlegenden Dinge, um die es hier in besonderer Weise geht, nicht auch bei weniger ambitionierten und jüngeren SchülerInnen eine wichtige Rolle spielen.
Müllers methodischer Ansatz geht davon aus, dass Lernprozesse individuell verlaufen, ein Lernen in kleinen aufbauenden Schritten sinnvoll ist und dass die Grundlagen allgemein, dann aber im musikalischen Zusammenhang geübt werden müssen. Lernen setzt eine bewusste Arbeitsweise voraus und ist als kreativer Vorgang anzusehen. Als Fernziel soll der Schüler oder die Schülerin quasi zum eigenen, mitdenkenden und kontrollierenden Lehrer werden.
Um diese Ziele zu erreichen, ist Claritop modular aufgebaut. Vier Grundelemente bilden nach Müller die Basis des Klarinettenspiels bzw. der Klarinettentechnik: Atmung und Druckregulation, Ansatz und Tonbildung, Finger und Haltung sowie Artikulation und Zungenarbeit. Diese werden im Theorieheft mit wissenschaftlich-akribischem Ansatz beschrieben und durch Skizzen, Abbildungen und Tabellen ergänzt. Beispielhaft sei hier die Erklärung des Prozesses der Fingerbewegung erwähnt, die „geführt“ und „freilaufend“ sein kann und als vierphasiger Bewegungsablauf erklärt wird. Intuitives wird dadurch bewusst gemacht. Im Theorieheft wird zwar nichts grundlegend Neues mitgeteilt, aber die gesamte Klarinettentechnik wird sozusagen unter die Lupe genommen und bis ins kleinste Detail überzeugend erklärt.
Im Notenheft wird das Übungsmaterial bereitgestellt, das streng systematisch geordnet ist. (Der die Systematik veranschaulichenden, aber letztlich unübersichtlich wirkenden Durchnummerierung, die wegen der Verweise im Theorieheft nötig ist, hätte es nicht unbedingt bedurft.) Zu jedem bläserischen Aspekt werden Erarbeitungsmodelle ausgeführt, die dann individuell übertragen werden können. Dabei werden lernpsychologische Erkenntnisse zum Beispiel bei den Überhythmen für Tonfolgen mit zwei und drei Tönen sowie bei der Erarbeitung von Tonleitern umgesetzt.
Kreativ wird mit Tonleiter- und Dreiklangsstudien umgegangen: Einem sturen mechanischen Abspulen begegnet Müller mit stets wechselnden Rhythmen und Ausschnittbildungen, die jeweils die Aufmerksamkeit auf einen anderen Ton verlagern. Ausführlich werden auch die Artikulationsmöglichkeiten dargestellt. Schließlich werden in weiteren Übungen die verschiedenen Einzelphänomene miteinander verknüpft. Die Erarbeitung von fünf unterschiedlichen Literaturausschnitten mit Hilfe der Grundmuster markiert schließlich den Zielpunkt: von der Technik zur Kunst.
Der Lehrgang, auf dessen zweiten Band man gespannt sein darf, hat die besten Voraussetzungen, zu einem Lehrbuch des Klarinettespielens zu werden. Eine vergleichbare Publikation ist im deutschsprachigen Raum bislang nicht vorhanden. Claritop wird auch erfahrene PädagogInnen anregen, die eigenen Methoden zu überdenken; allein die vorgestellten Übemethoden sind äußerst effizient und führen letztendlich schneller zum Ziel.
Heribert Haase