Say, Fazil

Cleopatra

für Violine op. 34

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2011
erschienen in: üben & musizieren 3/2012 , Seite 64

Zahlreiche KünstlerInnen beschäftigen sich in ihren Werken mit der ägyptischen Herrscherin. So auch Fazıl Say in Cleopatra. Und wer scheint geeigneter, die nahöstliche Kulisse zu vertonen, als der türkische Komponist, dessen Werke durchsetzt sind mit orientalischen Klängen?
Das kurze Solostück für Violine entstand 2011 als erstes Auftragswerk für den Internationalen Violinwettbewerb Henri Marteau. In einer Hommage an den Namensgeber des Wettbewerbs setzt sich Say mit Marteaus ­Caprice Nr. 10 „Intermezzo“ auseinander und reichert diese mit orientalischen Klängen an: Da tönen kleine und übermäßige Sekunden im Wechsel, meist im Legato gesetzt, als tauche man ein in 1001 Nacht – ähnlich wie in seinem Violinkonzert 1001 nights in the harem, das Say 2009 für seine Duopartnerin Patricia Kopatchinskaja schrieb.
Says Kompositionsstil ist sehr vielseitig – einmal schreibt er tonal, einmal atonal, gerne entlehnt er auch Floskeln aus dem Jazz. Eines haben seine Werke jedoch gemeinsam: ihre multikulturelle Klanggebung. In Cleopatra stehen Bartók-Pizzicati und akzentuierte col legno-Passagen lautmalerischen Klängen Arabiens gegenüber. Nicht die Fläche steht im Vordergrund, sondern eine klangliche Bilderschau, die mal misterioso, mal dolce klingt, die grell aufblitzt, die motivisch variiert und am Ende im ppp verklingt.
Say schafft eine Momentaufnahme, die von (atonalen) Mikroklängen lebt und durch starke rhythmische Kontraste gekennzeichnet ist. Divergente Klänge sorgen, statt auf Kontemplation zu setzen, für Erzählcharakter. Diesen ruft Say nicht zuletzt durch Spieltechniken wie col ­legno battuto, sul ponticello, Flageolett, Tremolo u. Ä. sowie kontrastreiche Höhen und Tiefen hervor.
Entsprechend den Vorgaben eines internationalen Violinwettbewerbs ist Cleopatra geigerisch äußerst anspruchsvoll. Spielerinnen und Spieler müssen in der Lage sein, sich besonders schnell von der einen Technik bzw. Ausdrucksweise auf die nächste einzustellen. Extreme Sprünge zwischen hohen und tiefen Lagen erfordern Treffsicherheit in der linken Hand sowie gute Bogentechnik (Saitenebenen) in der rechten Hand. Doppelgriffe (vor allem Oktaven), Flageoletts und schnelle Läufe sind weitere Kniffe, die bewältigt werden müssen. Rhythmische Sicherheit und ein gutes Vorstellungs- bzw. Ausdrucksvermögen sind hier gefragt – diese können mit Cleopatra jedoch auch bestens geschult werden!
Im Ganzen kommen moderne, nicht jedoch unbekannte Spieltechniken vor. Die Notation ist im „herkömmlichen Sinn“ einfach lesbar. Alles in allem eignet sich dieses Solostück für sehr fortgeschrittene SpielerInnen wie „Jugend musiziert“-TeilnehmerInnen der höheren Altersklassen sowie für Studierende.
Katharina Bradler